Von Mario Andreotti, 2022, UTB Haupt Verlag, Bern, 6. stark erweiterte und aktualisierte Auflage, 405 Seiten, 14 Abb., mit Glossar, ISBN: 978-3-8252-5644-9, 29,00 EUR
Professor Mario Andreottis Neuauflage seines Standardwerks „Die Struktur der modernen Literatur. Neue Formen und Techniken des Schreibens: Erzählprosa und Lyrik“ begeistert auf allen Ebenen. Wer schon immer auf der Suche nach einer Wissenserweiterung oder wenigstens einem Überblick über die moderne Literatur war, sollte sich dieses Werk nicht entgehen lassen.
Als Student der Germanistik, Nachwuchs-Autor und angehender Deutschlehrer am Gymnasium war ich in den 1970er Jahren immer auf der Suche nach einem Überblick über die moderne Literatur, der als Orientierung und als Basis für die Vermittlung im Unterricht, vor allem im Deutschunterricht in der Oberstufe, dienen konnte. Das 1983 erstmals herausgebrachte Universitätstaschenbuch „Struktur der modernen Literatur“ von Prof. Dr. Mario Andreotti ist eine solche profunde Gesamtschau. Das Buch ist mittlerweile in 6. (!) Auflage erschienen, aktualisiert und stark erweitert – was seine Bedeutung und seinen Rang erahnen lässt: es ist längst ein Standardwerk.
Die 6. Auflage stellt noch einmal eine beträchtliche Steigerung gegenüber früheren Auflagen dar. Bereits äußerlich hebt es sich – bei allen klassischen Wiedererkennungsmerkmalen der angesehenen UTB-Bücher – von seinen Vorgängern ab: durch ein größeres Format, den größeren Umfang und das optisch an sprechende Cover mit einigen Porträts von für die moderne Literatur wegweisenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die längst im kollektiven Gedächtnis der internationalen Literaturszene fest verankert sind.
Der Untertitel des Werkes lässt bereits den Grund für den gewachsenen Umfang des Werkes in der 6. Auflage erkennen: den Reichtum, die Fülle neuer Formen und Techniken des Schreibens im Bereich Erzählprosa und Lyrik, die in diesem aktualisierten Standardwerk Eingang fanden, ergänzt um einen Glossar zu literarischen, linguistischen und philosophischen Grundbegriffen. Was für ein Kompendium in Umfang, Kompetenz und Reichhaltigkeit über die Struktur der modernen Literatur!
Mario Andreottis Standardwerk in neuer Auflage lässt sich von Kapitel zu Kapitel fortschreitend, vom ersten bis zum zwölften, ebenso lesen wie „nur“ einzelne ausgewählte, die gerade besonders interessieren, je nach Interessenschwerpunkt und nach Bedarf – spannend und interessant, immer wertvoll wegen neu gewonnener oder aufgefrischter bestehender Kenntnisse zur modernen Literatur. Andreotti beginnt im 1. Kapitel erfreulicherweise mit der notwendigen Begriffsbestimmung von „moderner Literatur“, auf deren Grundlage ja überhaupt erst der literarische Text erfasst, eingeordnet und analysiert werden kann.
Klargestellt wird damit der Unterschied zum Oberbegriff „zeitgenössische Literatur“, der ja die Literatur aller in der Gegenwart lebenden Autorinnen und Autoren umfasst, also auch jener, die ausschließlich traditionell, in keiner Weise modern schreiben, und nicht nur diejenigen, die in Andreottis Werk im Fokus stehen, d.h. deren Schreiben, die Struktur ihrer modernen Literatur, an ungezählten Beispielen verdeutlicht, im Bereich Epik und Lyrik.
Kapitel 2 und 3 weiten und vertiefen den Horizont in Bezug auf die „moderne Literatur“ insofern, als dass sowohl auf die Vorläufer moderner Dichtung als auch auf die zwischen Tradition und Moderne stehende deutsche Literatur von 1900 bis zur Gegenwart eingegangen wird. Kapitel 4 dann geht explizit auf die geistigen Kräfte (v.a. der Natur- und Geisteswissenschaften) ein, um ihre nicht zu überschätzenden Auswirkungen auf die moderne Literatur deutlich zu machen.
Wie zu Beginn des Werkes beim Begriff „moderne Literatur“, so fundiert schafft Mario Andreotti Klarheit auch über die Gattungsformen in der modernen Literatur, indem er nicht nur einen Überblick über die wichtigen traditionellen und modernen Gattungsformen verschafft, sondern auch den Begriff der literarischen Gattung als solchen hinterfragt, und dabei seine Grenzen, gerade im Hinblick auf die moderne Literatur, aufzeigt.
Auf diesem Fundament der klaren Begriffsbestimmung und -reflexion folgt dann eine äußerst intensive, differenzierte Beschäftigung mit der Struktur und dem Strukturwandel moderner Erzählprosa, zunächst im Überblick, dann durch Auflistung und Eingehen auf alle wesentlichen Merkmale modernen Erzählens, klar verdeutlicht in der Gegenüberstellung zur traditionellen Erzählprosa, mit ihrem noch festen, persönlichen Erzähler – im Gegensatz zum modernen, entpersönlichten Erzähler. Wie intensiv die Auseinandersetzung mit der modernen Prosa geschieht, dem ersten Hauptteil des Werkes, wird u.a. am Umfang von weit über 100 Seiten (S. 115-234) deutlich, den er umfasst.
Andreottis Auseinandersetzung mit der modernen Erzählprosa reicht von der feministischen Frauenliteratur (u.a. in Gestalt des autobiographischen Romans) im Gefolge der Neuen Frauenbewegung (z.B. von Angelika Mechtel, Christa Reinig, Brigitte Schwaiger, Verena Stefan, Karin Struck) über die moderne Kürzestgeschichte und Kurzgeschichte bis hin zum modernen Montageroman: Collageroman, Computerroman, Handyroman und zum Beat- und Pop-Roman.
Genauso fundiert und ausführlich geht der Autor bei der anschließenden Untersuchung der literarischen Gattung Lyrik vor. Auch ihr stellt er die traditionelle Lyrik zum besseren Verständnis der modernen bis postmodernen gegenüber und listet dabei wie selbstverständlich und nebenbei alle Merkmale moderner Lyrik auf, stets an konkreten Beispielen verdeutlicht und damit für jedermann sehr gut nachvollziehbar. Und auch bei der Lyrik dringt Andreotti bis an die Grenzen der Moderne bzw. Postmoderne, endet nicht etwa bei der experimentellen Lyrik und konkreten Poesie, sondern geht darüber hinaus z.B. auch auf die Twitter-Lyrik, visuelle und akustische Poesie ausführlich ein.
Bei der enormen Fülle an Informationen, literarischen Beispielen und Belegen, Analysen und Veranschaulichungen in der Ausführung ist es ein großartiges Schlusskapitel (12) des Werkes, für das sich Mario Andreotti entschieden hat, indem er in ihm die – nicht nur – aus seiner Sicht wichtigsten Kriterien für gute literarische Texte auflistet. Er schafft es damit, den ohnehin enorm weiten Horizont der „Struktur der modernen Literatur“ nochmals zu vergrößern.
Nur selten lässt sich nach meiner Erfahrung ein wissenschaftlich hochkompetentes Werk aufgrund seiner sprachlichen Darbietung und seines methodisch-didaktischen Gesamtkonzeptes mit so viel Erkenntnisgewinn und zugleich Freude und Genuss lesen. Liebhaber der Literatur, Studierende, Lehrkräfte, Germanisten und nicht zuletzt Autorinnen und Autoren werden Andreotti dafür dankbar sein und letztendlich Martin Walser zustimmen, der bereits nach der Lektüre der 4. Auflage des Werkes urteilte: „Ich habe in diesem Buch mehr gefunden, als ich gesucht habe. Mein Eindruck: ein Buch von unendlicher Brauchbarkeit.“
Erich Pfefferlen
Von Michael Rödel, 2020, Stauffenburg Verlag, Tübingen, 163 Seiten, ISBN-13: 9783958093539, 24,90 EUR
Wie kann Schreiben in der Schule unter den Bedingungen der Digitalität gestaltet werden? Dieser Frage geht Michael Rödel, Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität München, in seinem Essay „Schule, Digitalität & Schreiben. Impulse für einen souveränen Deutschunterricht“ nach. Das Buch ist im Rahmen eines von der VolkswagenStiftung geförderten Forschungsprojektes „Schreiben in der Schule. In den Zeiten der Digitalisierung“ entstanden.
Professor Rödel wertet in seinem Essay die jüngere deutsch- sowie englischsprachige Literatur umfassend aus. Er legt ein Konzept für das Schreiben in der Schule vor, das anschlussfähig für gesellschaftspolitische und fachdidaktische Diskussionen ist und in Zeiten eines enormen Digitalisierungsdrucks eine wissenschaftlich fundierte Orientierung für den Deutschunterricht bietet. Diese ist vor allem auch deshalb notwendig, weil die Diskurse über das Schreiben in der Schule zerfallen: Zu selten werden Forschung und Diskurse über das Rechtschreiben, über Schreibtechniken oder das Schreiben von Texten aufeinander bezogen. Zentrale Themen des Buchs sind demzufolge der Digitalisierungsdiskurs in der Schule, digitales Schreiben und digitale Textgestalt, Schreibtechniken, die Bedeutung von Normen und Standards sowie „Texte digital schreiben – digitale Texte schreiben“.
Zwei Überlegungen, die im gesellschafts- und bildungspolitischen Diskurs der letzten Monate kaum beachtet worden sind, werden an mehreren Stellen betont: So spricht Professor Rödel davon, dass die Geschichte der Digitalisierung von „großen Versprechungen bestimmt ist, die sich nicht selten als übertrieben oder gar haltlos herausgestellt haben“. Auch betont er die Notwendigkeit eines Gesamtkonzepts der Digitalisierung für Schulen, das die übergeordneten Nachhaltigkeitsziele Klima- und Ressourcenneutralität berücksichtigt.
Digitale Techniken verändern die Funktion schriftlicher Kommunikation – wir haben es mit einer massiven Ausweitung des Schriftlichen zu tun – und erlauben es, „schriftlich in mündliche Domänen einzudringen“. In diesem Zusammenhang erscheint die Differenzierung, die in dem Essay vorgenommen wird, als sehr sinnvoll. Das netzbasierte Schreiben ist durch zwei unterschiedliche Schreibformen gekennzeichnet: Das interaktionsorientierte Schreiben (z.B. auf Messenger-Plattformen) mit Merkmalen mündlicher Gespräche und schriftlicher Texte sollte laut Michael Rödel nicht im Lernbereich Schreiben thematisiert werden, sondern unter „Sprachbetrachtung“. Das textorientierte Schreiben hingegen mit hypertextuellen Eigenschaften (z.B. Nicht-Linearität, Multimodalität) sei hingegen für den Lernbereich „Schreiben“ einschlägig.
Auch wenn die Möglichkeit besteht, dass heute Schülerinnen und Schüler in ihrem künftigen Berufsleben Texte nur noch einsprechen werden, so hält es Professor Rödel doch für notwendig, dass junge Menschen heute variabel mit verschiedenen Schreibtechniken umgehen können. Dabei bewirkt das Handschreiben eine starke Aktivierung der für die Bewältigung der kognitiven Aufgaben relevanten Hirnareale und stellt einen wichtigen Schritt zu einem ansprechenden und flüssigen Tastaturschreiben dar.
Der Rückgang der Verbindlichkeit sprachlicher Normen ist – so Michael Rödel – keine Folge der Digitalisierung. Allerdings ist der Erwerb schriftsprachlicher Normen durch die Schaffung von Situationen, in denen die Schülerinnen und Schüler diese Verbindlichkeit erfahren können, eine notwendige Voraussetzung dafür, dass sie an der Schriftsprache partizipieren können. Vor allem auch deshalb, weil die Schriftsprachprogramme kaum „mehr als eine hilfreiche Unterstützung“ sind.
Die meisten digitalen Publikationsformate sind durch die Antizipation der Adressatengruppe und ein zielorientiertes, knappes und konzises Schreiben gekennzeichnet. Die Bedeutung der Aspekte der Adressatenorientierung und der Kohärenz, für Professor Rödel mit „die entscheidenden Stellglieder bei der Vermittlung von Schreibkompetenz“, wird am Beispiel des Berichts näher erläutert. Interessant ist, dass Michael Rödel zwar feststellt, dass sich Berichte, bedingt durch die Entfaltung neuer technischer Möglichkeiten, verändert haben; dennoch ist er aber der Überzeugung, dass der klassische Zeitungsbericht didaktisches Potential besitzt, das auch für das Formulieren digitaler Texte wichtig ist, da er die Schülerinnen und Schüler dazu zwingt, das Wesentliche eines Ereignisses komprimiert und für den Adressaten verständlich zu erläutern. Didaktische Gattungen, in denen Schülerinnen und Schüler das Schreiben erlernen, müssen somit nicht unbedingt den Formaten entsprechen, die in der außerschulischen Realität dominieren.
Das Buch „Schule, Digitalität & Schreiben“ ist ein Essay, das entscheidende Herausforderungen durch die Digitalisierung für den Deutschunterricht bewusst macht, und das geeignet ist, Diskussions- und Reflexionsprozesse in Fachsitzungen, Fachbetreuertagungen und in der Referendarausbildung anzuregen und zu vertiefen. – Ein Essay, in dem aber auch die Frage gestellt wird: Was bedeuten diese Herausforderungen für einen Deutschunterricht, „den auch Kontemplation, Reflexion und Freigeistigkeit, Kreativität, Autonomie und schließlich Transferleistungen prägen sollen“?
Reinhard Schneider
Von Norbert Berger 2020, Auer Verlag, Augsburg/Hamburg Buch mit Downloadmaterial, 108 Seiten, 33 Schaubilder in DIN A3 – geeignet als Wandposter im Klassenzimmer oder als nach und nach ergänzte Arbeitsblätter, 5. bis 13. Klasse, ISBN: 978-3-403-08446-4, 24,40 EUR
Manchen Schülerinnen und Schülern fällt es schwer, die oft komplexen Zusammenhänge und Personenkonstellationen von Lektüren im Deutschunterricht im Gedächtnis zu behalten. Mit den individuell anpassbaren Schaubildern erfassen Schülerinnen und Schüler die Inhalte der 33 beliebtesten Lektüren, darunter Romane, Novellen, Erzählungen und Dramen wie Otfried Preußlers „Krabat“, Wolfgang Herrndorfs „Tschick“, Johann Wolfgang von Goethes „Faust“, E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ oder Patrick Süskinds „Das Parfum“. Zu jedem der vorliegenden Schaubilder bietet der Band zudem didaktische Informationen zum Einsatz der Schaubilder sowie verschiedene Hintergrundinformationen und Erläuterungen. Zudem gibt es zu den Unterrichtsmaterialien des Bandes auch digitales Zusatzmaterial. Es besteht aus allen Schaubildern des Bandes sowie aus den Schaubildern als Blanko-Version zur schrittweisen Erarbeitung durch die Schüler. Der Autor des Bandes, Norbert Berger, unterrichtet Deutsch und Französisch am Gymnasium Ernestinum Coburg und weiß aus langjähriger Erfahrung, „wie dankbar Schülerinnen und Schüler sind, wenn ihnen die zum Teil komplexe Struktur und Handlungsfülle von Lektüren während der Behandlung im Unterricht ‚auf einen Blick‘ übersichtlich, anschaulich und einprägsam mit vielen graphischen und bildlichen Elementen vor Augen geführt wird. Dies hilft ihnen auch im Unterricht bei der Analyse und Interpretation der Werke.“