Bezirk Oberpfalz
Theo Emmer, StD i.R.
Bezirksfachgruppenleiter 1993 - 2021
[wegen Pensionierung 2020 nicht mehr wählbar]
Regensburger Kontaktstudium für Geschichts-/Sozialkundelehrer (2000 - 2020)
- ab 2020 für den kooperierenden BGLV
Dr. Anja Wiesner
Johann-Andreas-Schmeller-Gymnasium Nabburg
anja.wiesner@gymnasium-nabburg.de
Kontaktstudium = ?
„Kontakt“ – das heißt in diesem Kontext, eine lebendige Verbindung herstellen zwischen den Gymnasien / höheren Schulen unserer Region und den Historischen Wissenschaften und benachbarten Fächern.
„Studium“ – das heißt in diesem Kontext, den gegenwärtigen Wissensstand resümieren, neue Forschungsprojekte und -ergebnisse vorstellen und über aktuelle Fragen in ihrem historischen, kultur- oder sozialwissenschaftlichen Kontext diskutieren.
Ein Kontaktstudium bietet die Möglichkeit, sich vertieft mit beruflichen Themenfeldern zu beschäftigen. Kontaktstudiengänge werden von vielen Universitäten und Fachhochschulen angeboten. Für eine vollständige Teilnahme werden Fortbildungsbescheinigungen ausgestellt.
Die Tradition der Kontaktstudien wurde vom BGLV an der Universität Erlangen begründet, weitere bayerische Universitäten sind nachgefolgt, andere, auch in den neuen Bundesländern, sind auf den Zug aufgesprungen ...
In Regensburg ist es im „,Milleniumsjahr“ dem BGLV, vertreten durch den damaligen Vorsitzenden, OStD Willi Eisele, und dem Repräsentanten vor Ort, Theo Emmer, gelungen, im damaligen Ordinarius für Didaktik der Geschichte, Prof. Dr. Helmut Beilner, einen Mentor zu finden, der mit viel Initiative und unter engagierter Mitarbeit seiner Wissenschaftlichen Angestellten Martina Langer-Plän den Grundstein vor Ort gelegt hat und bis zur 5. Runde das Kontaktstudium getragen hat (2000 Exemplarische Einblicke in fachliche und didaktische Arbeitsfelder der Geschichtsforschung; 2001 Europäische Perspektiven im Geschichtsunterricht; 2002 Quelleninterpretation in Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht; 2003 Außerschulische Lernorte; 2004 Gestaltete Geschichte). Dabei ging es Beilner nie um eine Kopie bestehender Kontaktstudien, sondern um einen eigenen, dem Regensburger - einem interdisziplinär angelegten - Weg.
Nach der Pensionierung von Prof. Beilner durchlebte das Regensburger Kontaktstudium seine erste Krise, die zu einer Pause 2005 führte. Es war ein glücklicher Zufall, dass Theo Emmer über eine Kollegin an seiner Schule Kontakt zu Prof. Dr. Hebel (Lehrstuhl für Amerikanistik) herstellen konnte, wodurch die Amerikanistik seit 2006 alle zwei Jahre ein Kontaktstudium für G-+Sk-Lehrer mit kulturhistorischer/-wissenschaftlicher Ausrichtung anbietet - interdisziplinär, mehrfach in Zusammenarbeit mit dem Regensburger Amerikapolitik-„Papst“ Prof. Dr. Stephan Bierling.
Nach dem großen Erfolg der RLFB von 2006 (Amerikastudien und Geschichtsunterricht: Positionen, Perspektiven, Fallstudien) boten sich auch historische Fachwissenschaftler als Ausrichter des Kontaktstudiums an: 2007 führten die Althistoriker Prof. Dr. Peter Herz und seine Mitarbeiterin Dr. Babett Edelmann das 7. Regensburger Kontaktstudium für G-Lehrer durch (Landschaft und Mensch). Schon damals schwebte Theo Emmer eine Abwechslung beider Modelle vor: 2 Pferde im Stall sind besser als nur eines, ein Professor kann eine solche Veranstaltung nicht jährlich leisten. Aber es wäre fast zur zweiten Krise gekommen, da einzelne (!) Teilnehmer 2007 wegen Zeitüberschreitung einzelner Referenten massiv Kritik geübt und so die Althistoriker verprellt hatten. Und zur dritten Krise, als die folgende Veranstaltung 2008 um ein Haar an den Finanzen gescheitert wäre ...
Ab 2009 leitete der Amerikanistik-Professor Dr. Volker Depkat, der - ein besonderer Glücksfall - Historiker ist, alle zwei Jahre das Regensburger Kontaktstudium für G-/Sk-Lehrer (2009 Die amerikanische Demokratie. Geschichte und Struktur des US-Regierungssystems; 2011 Migration, Kulturtransfer, Nationenbildung u. a. mit dem namhaften Osnabrücker Migrationsforscher Prof. Dr. Jochen Oltmer; 2013 Geschichte des Rassismus u. a. mit den Experten Prof. Dr. Horst Gründer / Münster, Prof. Dr. Manfred Berg / Heidelberg und Prof. Dr. Boris Barth / Konstanz; 2015: Zeitgeschichte seit 1991. Strukturen, Entwicklungsprozesse, Akteure; 2017 Globalisierung in historischer Perspektive u. a. mit dem Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Olaf Bach / Heidelberg u. St. Gallen, der Bayreuther Historikerin Prof. Dr. Susanne Lachenicht; 2019: Populismus und Demokratie, u. a. mit den Politikwissenschaftler Prof. Dr. Dirk Jörke / Darmstadt und Prof. Dr. Roland Sturm / Erlangen - Nürnberg; 2021 auf 2022 verschoben).
Für 2010 hatte Theo Emmer wieder Glück: Ein Kollege von mir, Dr. Josef Memminger, war in der Nachfolge von Prof. Beilner auf eine Mittelbau-Stelle für G-Didaktik gewechselt und bestritt künftig alle zwei Jahre das Kontaktstudium für G-Lehrer (2010 zusammen mit der Archäologin Dr. Ruth Sandner Vor- und Frühgeschichte im Geschichtsunterricht an höheren Schulen: Standardthema und ‚Stiefkind‘ zugleich mit Exkursion in den Archäologiepark Altmühltal; 2012 Das Lernpotential außerschulische Lernorte - Regensburg und Umgebung mit Exkursion zum Welterbe im Salzstadel Regensburg; 2014 zusammen mit der Neuhistorikerin Prof. Dr. Harriet Rudolph Was sagt uns das Alte Reich heute noch? Zugänge zur frühneuzeitlichen Geschichte unter besonderer Berücksichtigung des Immerwährenden Reichstages mit Exkursion zum Reichstagsmuseum bzw. Gesandtenfriedhof; 2016 Schule und Archiv - Möglichkeiten für den Geschichtsunterricht mit Exkursion zum Stadtarchiv bzw. Spitalarchiv Regensburg; 2018 Geschichte in der Öffentlichkeit - Geschichtskultur und Public History mit Exkursion zum Gebäude des Museums der Bayerischen Geschichte bzw. der sanierten Steinernen Brücke; 2020 online Emotion, Fiktion und Satire - Beispiele für den (geschichtskulturellen) Umgang mit dem Thema „Nationalsozialismus“.
Theo Emmer wurde Ende Juli 2020 pensioniert. Seine Nachfolge als Tagungsleiterin des Kontaktstudiums hat Dr. Anja Wiesner aus Nabburg angetreten.
20. Kontaktstudium
20. Regensburger Kontaktstudium geplant für 2022
19. Kontaktstudium
19. Kontaktstudium Geschichte am 26. November 2020
Emotion, Fiktion und Satire – Beispiele für den geschichtskulturellen Umgang mit dem Thema „Nationalsozialismus“
Auch wenn das Kontaktstudium Geschichte bereits zum 19. Mal von der Universität Regensburg und dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, vertreten von der Dienststelle des Ministerialbeauftragten für die Gymnasien der Oberpfalz, in bewährter Kooperation mit BGLV und der Landesfachgruppe G/SK im bpv veranstaltet wurde, war es doch ein Novum. Bedingt durch die Corona-Pandemie wurde es erstmalig nicht als Präsenzveranstaltung, sondern als Zoom-Konferenz angeboten.
Der wissenschaftliche Leiter der diesmal wieder im Bereich der Geschichtsdidaktik verorteten Veranstaltung, Dr. Josef Memminger, begrüßte die etwa 35 zugeschalteten Kolleginnen und Kollegen und führte mit einer Definition von Geschichtskultur nach Jörn Rüsen als „praktischer Artikulation von Geschichtsbewusstsein“ in die Thematik ein.
Im ersten Vortrag stellte Dr. Heike Wolter von der Universität Regensburg das in Theresienstadt entstandene Kinderbuch Tommy und dessen Einsatzmöglichkeiten im Geschichtsunterricht vor. Das Bilderbuch wurde von Bedřich Fritta bzw. Fritz Taussig gezeichnet und mit Texten in tschechischer Sprache versehen. Er war 1941 nach Theresienstadt deportiert worden und verfasste das Buch dort zum dritten Geburtstag seines Sohnes Tomas, der erst im Jahr der Deportation der Familie geboren wurde und im Gegensatz zu seinen Eltern die NS-Zeit überlebte. Er sorgte für die Veröffentlichung des Buches, das ab den 1980er Jahren in einer wachsenden Anzahl von Sprachen erhältlich wurde.
Nach der Vorstellung der Entstehungsbedingungen führte Frau Dr. Wolter in sinnvolles methodisches Vorgehen bei der Verwendung des Buches im Unterricht ein und gab Hinweise auf audiovisuelle Quellen, bei denen das Buch nicht nur im tschechischen Original vorgelesen, sondern auch mit einem in Theresienstadt von Ilse Weber geschriebenen Wiegenlied hinterlegt ist, und bei der Landeszentrale für politische Bildung erhältlichen Materialien zum Buch.
Anschließend begründete sie die Verwendung dieses ja für ein Kleinkind geschriebenen Buches auch im Unterricht weiterführender Schulen im Sinne der Holocaust Education. Nicht nur dient es der Vermittlung von kognitivem Wissen, das ausnahmsweise nicht aus Täterquellen stammt, es erlaubt den Schüler*innen auch den Aufbau kognitiver Empathie, bei der nicht Mitleiden, sondern Mitfühlen das Ziel ist. Auch der Moral- und Werteerziehung kann das Buch, das für seinen ursprünglichen Empfänger zum lebenslangen Begleiter wurde, dienen.
Nach Ansicht der Referentin ist Tommy nicht nur für die Behandlung der Thematik mit älteren Schüler*innen, sondern auch mit Grundschulkindern oder Gymnasialanfängern geeignet, bei denen dann natürlich weniger die Kontextualisierung als die Befassung mit der Quelle selbst im Vordergrund stehen muss.
Anschließend referierte Dr. Matthias Häußler, ebenfalls von der Universität Regensburg, unter dem aus der TV-Serie Fawlty Towers entlehnten Titel „Don’t Mention the War“ über Kontinuität und Wandel im britischen Deutschland- und Europabild seit 1945. Er berichtet, dass der Zweite Weltkrieg in Großbritannien in der Gegenwartskultur (z. B. Fernsehserien, Bücher, Verwendung als Vergleichsmaterie in Zeitungsbeiträgen zu unterschiedlichsten Themen) sehr präsent sei. Besonders das Verhältnis zu Deutschland wird bis hin zur Diskussion über den Brexit von diesem Krieg bestimmt. Laut Dr. Häußler ist der britische Diskurs über die Zeit jedoch stets und vorrangig eine Betrachtung Großbritanniens selbst. Er gibt einen Überblick über die zeitliche Abfolge verschiedener Haltungen der Briten gegenüber Deutschland, begonnen bei der Rolle als Kriegsgegner und Besatzungsmacht in der Nachkriegszeit, als die Frage im Vordergrund stand, ob die NS-Jahre eher als „Betriebsunfall“ der deutschen Geschichte zu verstehen seien oder als Ausdruck des deutschen Nationalcharakters. In den 60er bis 80er Jahren des 20. Jahrhunderts kommt es zur Annäherung nicht zuletzt über die gemeinsame EG- und NATO-Mitgliedschaft. In GB macht sich das Gefühl breit, dass Deutschland zwar den Krieg verloren, aber den Frieden gewonnen hätte, weil es im Gegensatz zum an Bedeutung verlierenden GB immer mehr Einfluss gewinnt. Diese Entwicklung wird von einem Teil der Briten bewundert, von einem anderen mit Befremdung zur Kenntnis genommen. Im Umbruch der 1990er Jahre, in der Großbritannien eine neue Identitätskrise durchläuft, während Deutschland nach der Wiedervereinigung erneut an Bedeutung gewinnt, treten NS-Bezüge im britischen Deutschlandbild wieder stärker in den Vordergrund und werden z. B. als Argument für die Ablehnung eines engeren Zusammenwachsens der EU angeführt, was, so die Aussage Nicholas Ridleys, des Ministers für Handel und Industrie im Kabinett Thatcher, denselben Effekt hätte, wie die britische Souveränität an Hitler auszuliefern.
In der Schlussdiskussion stellt Dr. Häußler klar, dass häufig allerdings Äußerungen, die in Deutschland als beleidigend empfunden werden, gar nicht so gemeint sind, da nach wie vor der britische Humor in Deutschland häufig auf Unverständnis stoße.
Dr. Josef Memminger, Leiter der Abteilung Geschichtsdidaktik an der Universität Regensburg, sprach anschließend anhand der Kinder von Izieu über die geschichtskulturelle Verarbeitung eines Fallbeispiels des Holocaust. Es geht um die Geschichte von 44 jüdischen Kindern, die in einem Kinderheim in Izieu zu ihrem Schutz vor Deportation untergebracht waren und im April 1944 von dort nach Auschwitz verschleppt und getötet wurden. Während das Schicksal der Kinder von Izieu in Frankreich sehr bekannt war und ist, wurde das Geschehen in Deutschland erst durch ein gleichnamiges Lied von Reinhard Mey aus dem Jahr 1994 bekannt. Dieses Lied ermöglicht den Umgang mit der Thematik, da es nicht nur die Schüler*innen direkt anspricht („sie war’n so wie ihr, so wie alle Kinder eben“), sondern auch die Kinder von Izieu so benennt, dass anhand der vorhandenen und im Unterricht einsetzbaren vielfältigen schriftlichen und bildlichen Quellen deren Leben nachvollzogen werden kann. Nach detaillierten Vorschlägen zum unterrichtlichen Umgang mit der Thematik betonte Dr. Memminger, dass es natürlich einerseits wichtig sei, das Schicksal der Kinder auf die Schüler*innen wirken zu lassen und somit Empathie zu erzeugen, andererseits aber auch die Reflexion nicht zu kurz kommen dürfe. Die Kinder von Izieu seien ideal dafür geeignet, gerade bei älteren Schüler*innen zur Kultivierung der Affekte beizutragen, die nötig ist, um sich mit dem Holocaust angemessen auseinandersetzen zu können. Die Schüler*innen müssen lernen, dass ein Gefühl der Überwältigung bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema durchaus normal ist. Diese Kultivierung der Affekte ist auch als Vorbereitung für Besuche in KZ-Gedenkstätten, wo die Jugendlichen sich der Betroffenheit nicht entziehen können, überaus hilfreich.
Der Abschlussvortrag von Prof. Dr. Christian Kuchler von der RWTH Aachen befasste sich mit dem Thema Lernen in Auschwitz – Diachrone Perspektiven auf schulischen Gedenkstättenexkursionen (1980-2019). Zunächst wies er darauf hin, dass Besuche in KZ-Gedenkstätten von 75% der deutschen Bevölkerung als wichtigen Bestandteil des Schulunterrichts betrachtet werden und in diversen Bundesländern, so ja auch in Bayern, im Lehrplan verankert sind, aber dennoch kaum Längsschnittuntersuchungen über diese Exkursionen existierten, weil kaum Berichte oder andere Dokumentationen vorlägen. Lediglich für Fahrten nach Auschwitz ist die Lage besser, weil häufig Schülerberichte für verschiedene Förderer der Fahrten verfasst werden mussten.
Während bis 1980 aus der DDR keine Reisen nach Auschwitz stattfanden, beginnt in den 1950er Jahren eine gewisse Tradition der Fahrten dorthin, die zunächst von einer sozialistischen Jugendorganisation, anschließend von christlichen Anbietern wir der Aktion Sühnezeichen durchgeführt wurden. Letztere bestanden hauptsächlich aus Arbeitseinsätzen bei der Erhaltung der Gedenkstätte.
In den 1980ern wurde im Rahmen von Polenrundfahrten von 70% der Schülergruppen auch Auschwitz besucht, wobei der Gedenkstättenbesuch eine untergeordnete Rolle spielte und nur wenige Stunden des Gesamtprogramms ausmachte, was von der staatlichen polnischen Reiseorganisation so bestimmt wurde.
Erst nach Fall des Eisernen Vorhangs wurde mit dem Deutsch-polnischen Jugendwerk eine Organisation zur Förderung des bilateralen Jugendkontakts gegründet, und die Stiftung Erinnern ermöglichen förderte umfangreiche Schulexkursionen zu den polnischen KZ-Gedenkstätten. Nun wurde also direkt Auschwitz bzw. Birkenau das Ziel der Fahrten, was eine Verschiebung der Wahrnehmung weg von den polnischen hin zu den jüdischen Opfern mit sich brachte.
Prof. Kuchler weist darauf hin, wie entscheidend die Begleitung der Fahrten durch Geschichtslehrkräfte ist, was derzeit noch in fast einem Drittel der Exkursionen nicht der Fall ist. Nur so könne sicher gestellt werden, dass der historische Ort mit Methoden der Geschichtswissenschaft analysiert wird. Dies erfordere nicht nur entsprechende Vorbereitung, sondern eben auch die Begleitung der nötigen Reflexion durch historische Fachlehrkräfte.
Dr. Anja Wiesner
18. Kontaktstudium

Prof. Dr. Volker Depkat bei seinem Vortrag
Foto: Gebauer (BGLV)
18. Regensburger Kontaktstudium für Geschichts-/SozialkundelehrerInnen „Populismus und Demokratie“
Rund 90 Geschichts-/SozialkundelehrerInnen vorwiegend oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien, Berufs-/Fachober- und Realschulen folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Untericht und Kultus und der Universität Regensburg, die in Kooperation mit dem Regensburg European American Forum (REAF) sowie dem Bayerischen Geschichtslehrerverband (BGLV) und der Landesfachgruppe Geschichte/Sozialkunde im Bayerischen Philologenverband (bpv) das 18. Regensburger Kontaktstudium ausrichteten.
In ihren Eröffnungsansprachen führten der wissenschaftliche Leiter der Veranstaltung, Prof. Dr. Volker Depkat (Professor für Amerikanistik an der Universität Regensburg und Historiker), sowie Ltd. OStD Franz X. Huber (Ministerialbeauftragter für die Gymnasien in der Oberpfalz), in das „traurig aktuelle“ Thema der Veranstaltung „Populismus und Demokratie“ ein. StD Theo Emmer (BGLV und bpv) dankte den Veranstaltern, insbesondere Prof. Depkat und den Referenten, für ihr Engagement, sowie StDin Claudia Reichmann von der MB-Dienststelle für die große Unterstützung. Für ihn war es das letzte Kontaktstudium als Tagungsleiter, weil er Ende des Schuljahres aus dem aktiven Dienst ausscheiden wird. Der Ministerialbeauftragte und OStRin Alfrun Gebauer (Vorsitzende BGLV) dankten ihm für sein Engagement und überraschten ihn mit einem Präsent.
In seinem Einführungsvortrag „Populismus und Demokratie: Eine komplexe Angelegenheit“ betonte Prof. Dr. Dirk Jörke (Institut für Politikwissenschaft TU Darmstadt) die Notwendigkeit, das Phänomen des Populismus, das durchaus eine Gefahr für liberale Demokratien darstelle, geographisch und historisch zu verorten. Nur wenn man den Populismus in seiner Mehrdimensionalität und Kontextgebundenheit betrachte, könne man ihn verstehen, ohne selbst populistische Gut/Böse-Unterscheidungen zu reproduzieren. Anhand von Daten der letzten Wahlen in Deutschland und Österreich untermauerte der Politikwissenschaftler seine Vermutung, dass der stetig wachsende Erfolg populistischer Parteien in Europa mit dem Zustand westlicher Demokratien zu tun habe. Die Modernisierungsprozesse der letzten Jahrzehnte hätten unter anderem eine gesellschaftliche Spaltung in Gewinner und Verlierer vorangetrieben. So werde die AfD inzwischen mehrheitlich von Menschen aus der unteren Mittelschicht - meist aus ländlichen Regionen oder ehemaligen Industriegebieten - gewählt, die sich als Modernisierungsverlierer verstünden und durch ihr Wahlverhalten ihren Ärger über die enttäuschten Versprechen der Demokratie zum Ausdruck bringen wollten. Der Frage nach möglichen Antworten auf die zunehmenden Erfolge populistischer Parteien stellte Prof. Jörke am Ende seines Vortrags die These entgegen, dass sich Populismus als Appell an die kosmopolitischen Eliten deuten ließe, die Versprechen der Demokratie wieder ernster zu nehmen.
„Das zweifelhafte Vorbild Südosteuropa: Populismus und Demokratieabbau“ - so lautete der Beitrag von Dr. Konrad Clewing (Historiker am Leibnitz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg). Mit besonderem Blick auf die Länder Südosteuropas, in denen populistische Parteien an der Macht waren oder es momentan sind, wollte Dr. Clewing regierenden Populismus weniger als Demokratieabbau und mehr als Abbau unabhängiger demokratischer Institutionen verstanden wissen. Am Beispiel Ungarns erklärt der Referent, dass der große Erfolg populistischer Parteien in Südosteuropa vom Ärger über enttäuschte Versprechen der westlichen liberalen Demokratie herrühre. In diese seien von vielen Menschen zu Zeiten der sowjetischen Besatzung große Hoffnungen gesetzt worden. Mit Ende des Kalten Krieges und der Osterweiterung westlicher demokratischer Institutionen wie der EU seien diese Hoffnungen jedoch zerstört worden, da der westliche Liberalismus seine ihm innewohnende Forderung nach Pluralismus zugunsten eines Hegemonieanspruchs über die post-sowjetischen Länder Osteuropas aufgegeben habe. Letztere verstünden sich dadurch nun zunehmend als Verlierer, die sich den politischen Maßnahmen der westlichen Demokratien und der dadurch implizierten Überlegenheit des Vorbilds zu unterwerfen hätten. Die von Viktor Orbán, dem Ministerpräsidenten Ungarns, ausgerufene „kulturelle Konterrevolution“ kanalisiere diese Frustration und die aus den Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre resultierten Ängste, um ein Gegengewicht zu den westlichen Demokratien zu schaffen. Abschließend betonte Dr. Clewing, dass die nationalspezifischen Gründe für den Erfolg populistischer Parteien nicht unterschätzt werde dürften, wenn man das Phänomen des Populismus verstehen wolle.
Prof. Dr. Roland Sturm (Lehrstuhl für Deutsche und Vergleichende Politikwissenschaft, Europaforschung und Politische Ökonomie FAU Erlangen-Nürnberg) untersuchte „Populismus und Demokratie in Großbritannien“. Er ging besonders auf den rechten Rand ein und betrachtete die rechten und populistischen Parteien Großbritanniens, UKIP und BNP, genauer. So erklärte er deren Entstehungsgeschichten und zeigte anhand von Statistiken, wie die Wählerschaft dieser Parteien aussieht und welche Faktoren zu ihrer Wahl führen können: Einwanderungsstopp, EU-Skepsis, Kampf gegen korrupte Politiker, Einstellung, dass der Islam eine Gefahr für die westliche Welt sei ... Ein weiterer von Prof. Sturm behandelter Punkt waren die populistischen Wahlerfolge und deren Voraussetzungen. So seien 2017 viele ehemalige UKIP-Anhänger zur Labour Party übergeschwenkt, während die Konservativen mehr Arbeiter für sich gewinnen wollten - die Populisten sind also nicht zwingend die beliebtesten Parteien Großbritanniens. Prof. Sturm betonte, dass ökonomische Gründe nicht ausschlaggebend seien, um UKIP zu wählen. Der Hauptgrund sei das Thema Vertrauen, das UKIP seiner Wählerschaft verspreche - eine „Us-Vs.-Them“-Anti-Establishment-Dynamik, die immer wieder im Populismus zu erkennen sei. Man müsse von der Herrschaft der Populisten in Großbritannien sprechen, da sowohl die Brexit-Bewegung Johnsons als auch die linke Bewegung Corbyns mit populistischer Dynamik arbeite. Jedoch appellierte Prof. Sturm, die Hoffnung in Großbritannien nicht zu verlieren – noch sei nicht alles in Großbritannien im Populismus untergegangen.
Den letzten Vortrag der Veranstaltung mit dem Titel „Populismus in den USA“ hielt Prof. Dr. Volker Depkat (Universität Regensburg). Mit einem Rückblick auf die Geschichte der USA, vor allem durch die nähere Betrachtung der Gründungsdokumente, zeigte er, dass die amerikanische Demokratie seit der amerikanischen Revolution systemisch Populismus befördert hat. Die Traditionen des Populismus sind somit ein integraler Bestandteil der Geschichte und Demokratie der USA. Hier wurde vor allem auch betont, dass dieser Populismus nicht ausschließlich schädlich war, sondern die Demokratie in den USA oft sogar gefördert hat, sicht bar gemacht am Beispiel des ersten amerikanischen Populisten Andrew Jackson und am großen demokratischen Aufschwung während seiner Amtszeit als Präsident (1829 - 1837). Der geschichtliche Rückblick zeige, so Prof. Depkat, dass die Wahl Donald Trumps eigentlich keine Überraschung sei und dass der Populismus und dessen Narrative, vor allem das polarisierende „Us vs. Them“, genau in die Traditionen Amerikas passe. Gleichzeitig sei Trump jedoch ein „rabaukenhafter Konservativer“ - sein Populismus schade der amerikanischen Demokratie, da Trump zentrale Institutionen Amerikas infrage stelle und aktiv herausfordere. Auch Prof. Depkat schloss mit einem Appell, die Hoffnung in Amerika nicht aufzugeben; es sei gut möglich, dass die Amtszeit Trumps noch für einen demokratischen Aufschwung in der amerikanischen Gesellschaft sorgen könne, sofern die vielbeschworenen Selbstheilungskräfte der amerikanischen Demokratie freigesetzt würden.
Das Regensburger Jubiläumskontaktstudium für Geschichts- und Sozialkundelehrer unterstrich einmal mehr die Bedeutung der Vernetzung von Universität und Schule über das Angebot der Lehramtsstudiengänge hinaus. Die nächste Runde der erfolgreichen Reihe ist in Vorbereitung.
Theo Emmer, Anja Kurasov, Jens Schmid
17. Kontaktstudium
15. November 2018
17. Kontaktstudium für GeschichtslehrerInnen an der Universität Regensburg
„Geschichte in der Öffentlichkeit - Geschichtskultur und Public History“
Rund 75 GeschichtslehrerInnen vorwiegend oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien, Berufs-/ Fachober- und Realschulen sowie geladene Regensburger StudentInnen folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus und der Universität Regensburg, die in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Geschichtslehrerverband und der Bezirksfachgruppe Geschichte/Sozialkunde Oberpfalz im Bayerischen Philologenverband das 17. Regensburger Kontaktstudium ausrichteten.
In ihren Eröffnungsansprachen betonten der Ministerialbeauftragter für die Gymnasien in der Oberpfalz, Franz X. Huber, sowie Studiendirektor Albert Freier von der MB-Dienststelle Bedeutung und wesentliche Anliegen dieser Fortbildungsveranstaltung. Studiendirektor Theo Emmer (BGLV, bpv) freute sich über den schularten- und regierungsbezirksübergreifenden Teilnehmerkreis und dankte den Veranstaltern, vor allem dem wissenschaftlichen Leiter Dr. Josef Memminger sowie allen Referenten für ihr Engagement; Herrn Freier, dessen große Unterstützung dem Kontaktstudium äußerst gut getan habe, verabschiedete er nach 10 Jahren mit einem kleinen Präsent.

Dr. Memminger bei seinem Vortrag
Dr. Josef Memminger, Akademischer Oberrat und Leiter der Abteilung Geschichtsdidaktik an der Universität Regensburg, führte zu Beginn der Veranstaltung in das Thema ein. Er verwies auf die erhebliche mediale Präsenz von Geschichte in der Öffentlichkeit und zeigte, wie Public History sich zunehmend auch im akademischen Bereich als geschichtswissenschaftliche Teildisziplin etabliert. Die kognitiven, ästhetischen und politischen Dimensionen von Geschichtskultur seien dabei mitunter eng miteinander verwoben, was in den einzelnen Beiträgen der Tagung zum Ausdruck komme.

Prof. Dr. Löffler referierte über Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik nach 1945
Prof. Dr. Bernhard Löffler, Inhaber des Lehrstuhls für Bayerische Landesgeschichte an der Universität Regensburg, verdeutlichte in seinem Vortrag Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik nach 1945, wie stark bayerische Landeshistoriker und die Staatsregierung nach dem Zweiten Weltkrieg im Austausch standen und auf diese Weise aktiv Geschichtspolitik betrieben (Stichwort „Spindler-Schule“). Er plädierte dafür, einseitige affirmative Deutungen hinsichtlich der bayerischen Besonderheit zu hinterfragen und die traditionell starke Konzentration auf die politische Geschichte (und die bayerische „Staatlichkeit“) zumindest aufzulockern.
Dr. Heike Wolter, Akademische Rätin in der Abteilung Geschichtsdidaktik, kategorisierte in ihrem Beitrag Erinnern, aber wie? Gedenken mit Schülerinnen und Schülern im öffentlichen Raum verschiedene Formen des Gedenkens und Erinnerns mit Schülerinnen und Schülern – das Spektrum reiche von der stillen Teilnahme an öffentlichen Gedenkgelegenheiten bis hin zur Initiierung und Gestaltung von Veranstaltungen mit Lerngruppen. Für die unterschiedlichen Formate wurden anschauliche Beispiele geliefert.
In Dr. Josef Memmingers Ausführungen über Mechanismen des Geschichtsgebrauchs im Tourismus standen beispielhaft Präsentationsformen von Burgen, Schlössern und Altstädten im Mittelpunkt. Er plädierte dafür, die zahlreich vorgeführten „Stilmittel“ des Tourismus bei Exkursionen an außerschulische Lernorte stärker in die Erkundung vor Ort und die anschließende Analyse und Reflexion mit einzubeziehen. Schließlich würde in Tourismus und Geschichtsmarketing sehr stark auf Superlative und die Betonung von Besonderheiten gesetzt, was entsprechend die Deutungen beeinflusse. Diese gelte es, entsprechend zu dekonstruieren.
Nach der Mittagspause stellte Dr. Christine Grieb vom Haus der Bayerischen Geschichte das Gestaltungskonzept des Museums der Bayerischen Geschichte vor, das 2019 seinen Betrieb auf dem Regensburger Donaumarkt aufnehmen wird. Die Referentin lieferte grundlegende Informationen zur Dauerausstellung, zur Bavariathek und insbesondere zu den Möglichkeiten, die das neue Haus für schulische Lerngruppen bieten kann. Anschließend wurde das Gebäude bei der Exkursion von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor Ort in Augenschein genommen. Zum Abschluss des Tages erkundeten die Tagungsbesucher die frisch sanierte Steinerne Brücke.

StD Freier bei seiner Abschiedsansprache
Das Regensburger Kontaktstudium für Geschichtslehrer unterstrich einmal mehr die Bedeutung der Vernetzung von Universität und Schule über das Angebot der Lehramtsstudiengänge hinaus. Die nächste Runde der erfolgreichen Reihe (voraussichtlich 14.11.2019) ist in Vorbereitung, das Angebot wird sich alternierend wieder auch an Sozialkundelehrer richten: Arbeitstitel „Populismus und Demokratie“.
Theo Emmer
Der Verfasser dankt Dr. Memminger und seinen SHKs für die wertvolle Zuarbeit.
16. Kontaktstudium

Prof. Dr. Volker Depkat bei seiner Einführung
16. Regensburger Kontaktstudium für Geschichts-/SozialkundelehrerInnen
„Globalisierung in historischer Perspektive“
Rund 90 Geschichts-/SozialkundelehrerInnen vorwiegend oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien, Berufs-/Fachober- und Realschulen folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und der Universität Regensburg, die in Kooperation mit dem Regensburg European American Forum (REAF) sowie dem Bayerischen Geschichtslehrerverband (BGLV) und der Landesfachgruppe Geschichte/Sozialkunde im Bayerischen Philologenverband (bpv) das 16. Regensburger Kontaktstudium ausrichteten.
In ihren Eröffnungsansprachen führten Prof. Dr. Volker Depkat, wissenschaftlicher Leiter der Veranstaltung, Professor für Amerikanistik an der Universität Regensburg und Dekan der Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften, sowie Ltd. OStD Franz X. Huber, Ministerialbeauftragter für die Gymnasien in der Oberpfalz, in das übergeordnete Thema der Veranstaltung „Globalisierung in historischer Perspektive“ ein und betonten dabei Bedeutung und wesentliche Anliegen dieses Fortbildungsangebots. Prof. Depkat verwies darüber hinaus auf das historische Datum: 50-jähriges Jubiläum des Lehrbetriebs an der Universität Regensburg, welche für viele der anwesenden LehrerInnen zentrale Ausbildungsstätte war. StD Theo Emmer (BGLV und bpv) freute sich über die interdisziplinäre Referentenauswahl sowie über den regierungsbezirks- und schulartenübergreifenden Teilnehmerkreis und dankte den Veranstaltern, insbesondere Prof. Depkat und den Referenten für ihr Engagement sowie StD Albert Freier von der MB-Dienststelle für die große Unterstützung.
In seinem Einführungsvortrag „Die Erfindung der Globalisierung“ referierte Prof. Dr. Olaf Bach (Historiker und Wirtschaftswissenschaftler an der Kunsthochschule Berlin und der Universität St. Gallen) über die äußerst differenzierten Begriffsgeschichte der Globalisierung bzw. des Globalisierungsdiskurses in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, welche er anschließend anhand konkreter struktureller Veränderungen darstellte.
Unter anderem führte er die Entwicklung des Diskurses von einer Globalisierung der Politik (50er/60er Jahre) zur Globalisierung der Wirtschaft (70er/80er Jahre) an. Während der Begriff zunächst hauptsächlich im politischen Kontext einer Globalisierung/Universalisierung des Nationalstaats oder globalization of international politics auftauchte, rückte er ab den 70ern immer stärker in den Vordergrund im Kontext des Diskurses grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit – der aufkommenden multinational corporations, der globalization of markets sowie der financial revolution. Damit einhergehend veränderten sich auch die Handlungsräume mit der Ablösung der Nationalstaaten durch die sogenannten world manager als zentrale Akteure.
Darüber hinaus lasse sich im Diskurs auch eine Veränderung hinsichtlich der Globalisierung als utopisches Projekt zum tatsächlichen Prozess feststellen. Anfangs seien in den Begriff vor allem Zukunftserwartungen (als Teil einer allgemeinen Fortschritts- und Modernisierungsthese) eingeschrieben gewesen, welche zunehmend durch Erfahrungen überschrieben wurden - Globalisierung stellte sich immer mehr als Tatsache bzw. Zwang dar.
Abschließend diskutierte Prof. Bach die zwei Temporalitäten des Globalisierungsbegriffs. Einerseits könne dieser gesehen werden als Begriff, der ein neues Kapitel in der Fortschrittsgeschichte bezeichnet, das sogenannte Zeitalter der Globalisierung oder eine neue Stufe der Moderne. Andererseits bezeichne der Begriff auch einen gegenwärtigen, aber noch unvollendeten Prozess, welcher gleichzeitig mit einer gewissen Ungeschichtlichkeit der Globalisierungsrede verbunden sei. Der Globalisierungsdiskurs schaffe sich seine Traditionen selbst, indem damit zum Beispiel auch die Frühe Neuzeit oder das 19. Jahrhundert beschrieben werden.

Prof. Dr. Susanne Lachenicht bei ihrem Vortrag
Prof. Dr. Susanne Lachenicht (Inhaberin des Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Bayreuth) hielt einen Vortrag zum Thema „Globalisierung aus Perspektive der Frühen Neuzeit“ und stellte zwei Kernelemente ihrer Forschung heraus: Anhand der beiden Fragen Gab es Globalisierung in der Frühen Neuzeit? und Was bedeutete sie zu dieser Zeit? analysiert sie das Thema von der Frühen Neuzeit her und nicht rückwärtsgerichtet aus der Gegenwart.
Prof. Lachenicht ging zuerst auf den Begriff der Globalisierung ein. Entgegen der populären Verwendung für Nivellierung kultureller Unterschiede versteht sie darunter Vernetzung, Austausch und Migration als wiederkehrende Phänomene. Strukturmerkmale sind dabei Expansion, Kolonialismus und Imperialismus, die Ströme von Menschen, Waren und Ideen bedingen. Schnell wurde klar, dass die Existenz von Globalisierung in der Frühen Neuzeit nicht generell bejaht oder verneint werden kann, sondern vielmehr als Grad gesehen werden sollte. Es gebe keinen Idealzustand an Globalisiertheit, an dem die Frühe Neuzeit gemessen werden kann.
Im Folgenden ging die Referentin auf Expansionsprozesse ein. Sie betonte, dass es sich in den wenigsten Fällen um zentral gesteuerte Prozesse handelte und meist private Handelskompanien und Missionsorden eine tragende Rolle spielten. Neben Wissensaustausch und Christianisierung war der Sklavenhandel ein zentraler Verbindungsfaktor. Dabei spielte sich sämtliches Handeln im Spannungsfeld von Kooperation und Konflikt ab, Vernetzungsprozesse liefen in verschiedene Richtungen und gingen keineswegs nur von europäischen Mächten aus.
Im Hinblick auf die Rolle des Nationalstaats im Kontext der Globalisierung stellte Prof. Lachenicht einen dialektischen Prozess fest, bei dem vorangehende nichtstaatliche Kolonialisierungsinitiativen nach deren Erfolg mehr staatliches Engagement hervorriefen. Unabhängigkeitsbestrebungen sah sie weniger als Reaktion auf zu viel Internationalität, sondern vielmehr auf ein Übermaß staatlicher Kontrollen ein, welche ihrerseits wiederum mehr Staatlichkeit bedingen.
In seinem Beitrag „Industrialisierung und Globalisierung im 19. Jahrhundert“ thematisierte Prof. Dr. Rainer Liedtke (Lehrstuhl für Europäische Geschichte, 19. und 20. Jahrhundert, an der Universität Regensburg) die Globalisierungseffekte eines an sich nicht globalen Prozesses: der Industrialisierung. Dabei betonte er zunächst, dass Industrialisierung und Globalisierung keinesfalls gleichzusetzende Prozesse seien, da es sich bei ersterer um eine äußerst selektive und partielle Entwicklung handele, die sich im nationalen, europäischen und globalen Vergleich oft nicht nur ungleichzeitig, sondern auch ungleich vollzog und dadurch grundlegend dem weltumspannenden/universellen Ansatz der Globalisierung entgegengesetzt erscheine. Auch den Begriff der Globalisierung selbst sieht Prof. Liedtke im Kontext des 19. Jahrhunderts problematisch, arbeitet lieber mit der Vorstellung eines Prozesseses der globalen Vernetzung und untersucht den Prozess der Industrialisierung als Teilbereich (technologische Seite) dieses Vernetzungsprozesses.
Als zentralen Vernetzungseffekt der Industrialisierung erörterte der Referent zunächst die aufgrund technischer Innovationen ermöglichte Massenanfertigung von Gütern, wofür einerseits der Bedarf an Rohstoffen durch Importe - auch aus entfernter gelegenen Gebieten der Welt, wie Baumwolle aus Nordamerika oder Asien für die Stoffproduktion in Großbritannien - gestillt wurde, andererseits der Verkauf dieser Güter - wiederum in entferntere Absatzmärkte dank neuer Transportmöglichkeiten - verschiedenste Gebiete miteinander vernetzte.
Im Folgenden ging Prof. Liedtke auf weitere zentrale Vernetzungsaspekte im Zuge der Industrialisierung ein: neue Transportmöglichkeiten aufgrund neuer/verbesserter Technologien (z. B. Dampftechnologie für Schifffahrt und Landtransport), Migrationsbewegungen (Binnenmigration, transkontinentale Migration), neue Kommunikationswege (z. B. elektromagnetische Telegrafie), Etablierung und Ausweitung eines komplexen Handelsnetzwerkes (v. a. durch den in den 1840er-Jahren eingeführten Freihandel), Standardisierung und stärkere Institutionalisierung des Finanzsystems (z. B. Einführung des Goldstandards).
Prof. Dr. Thomas Raithel (Institut für Zeitgeschichte München) referierte über den Zusammenhang von Demokratie und Globalisierung - in einem komplizierten Verhältnis stehende Konzepte. Er definierte Globalisierung als Prozesse von Ausweitung, Verdichtung und Vernetzung, die nicht zwangsläufig zur Gleichschaltung nationaler oder regionaler Besonderheiten führten (Stichwort: Fußball), und sieht sie weniger als autonomen Prozess, vielmehr als Resultat individuellen und gesellschaftlichen Handelns. Demokratie zeigte er als enorm breiten und wandelbaren Begriff, jedoch mit dem Kern der Volksherrschaft und der klassischen Gegenüberstellung zum autokratischen Staat. Auf Tocqueville zurückgreifend verwies Prof. Raithel auf ein von Egalität geprägtes Menschenbild und breite Mitwirkungsmöglichkeiten.
Das 20./21. Jahrhundert im Fokus, ging er unter anderem auf den universellen Anspruch modernen globalen Denkens sowie die globale Verbreitung der (westlichen) Demokratie ein. Die USA nehmen hier, nicht zuletzt durch W. Wilsons Forderung, die Welt müsse der Demokratie zugeführt werden, eine Vorreiterrolle ein, die jedoch auch kritisiert wird als amerikanisches Hegemonialstreben. Dass es neben dem deutschen Paradebeispiel von Demokratisierung auch Misserfolge in diesem Bestreben gibt, bei denen eine nationalstaatliche Adaption von Demokratie nicht gelang, kann auf mangelnde Bereitschaft zur Verankerung demokratischer Strukturen zurückgeführt werden. Afghanistan und der Irak seien als Beispiele genannt.
Ein aktuell besonders problematischer Aspekt ist die Ausweitung der Globalisierung und ihrer Folgen auf nationalstaatliche Demokratie. Konfliktpunkte sind hierbei unter anderem die Weltwirtschaft (insbesondere der Freihandel), globale Kommunikation und ihre Gefahren (z.B. durch Hacker), ein Formwandel der Politik (der letzten Endes die Politikverdrossenheit noch erhöht) sowie globale Migration und internationaler Terrorismus.
Als aktuelle und zukunftsweisende Ansätze und Postulate trans- und supranationaler Demokratie benannte Prof. Raithel ein zunehmendes transnationales Denken von Demokratie sowie die Stärkung trans- und supranationaler Organisation wie der NATO, allerdings auch mehr nichtstaatlicher Akteure. Trotz ihres engen Verhältnisses und daraus resultierender Wechselwirkungen können Demokratie und Globalisierung einander gefährden, ein als positiv zu begreifendes Fortbestehen ist nicht selbstverständlich. Laut Prof. Raithel sollte dieses Verhältnis aber auch nicht zu negativ gedacht werden, denn es gebe keine ernsthaften humanen Alternativen.
Das Regensburger Jubiläumskontaktstudium für Geschichts- und Sozialkundelehrer unterstrich einmal mehr die Bedeutung der Vernetzung von Universität und Schule über das Angebot der Lehramtsstudiengänge hinaus. Die nächsten beiden Runden der erfolgreichen Reihe sind schon angedacht.
Theo Emmer
Der Verfasser dankt den SHKs Theresa Hackl und Tamara Heger für die wertvolle Zuarbeit.
15. Kontaktstudium

ARin Dr. Wolter bei ihrem Referat
15. Kontaktstudium für Geschichtslehrer an der Universität Regensburg
„Schule und Archiv - Möglichkeiten für den Geschichtsunterricht“
Fast 40 GeschichtslehrerInnen vorwiegend oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien, Berufs-/ Fachober- und Realschulen sowie geladene Regensburger StudentInnen folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und der Universität Regensburg, die in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Geschichtslehrerverband und der Bezirksfachgruppe Geschichte/Sozialkunde Oberpfalz im Bayerischen Philologenverband das 15. Regensburger Kontaktstudium ausrichteten.
In ihren Eröffnungsansprachen gingen der Präsident der Universität Regensburg Prof. Dr. Udo Hebel sowie Studiendirektor Albert Freier von der MB-Dienststelle für die Gymnasien in der Oberpfalz auf Bedeutung und wesentliche Anliegen dieser Fortbildungsveranstaltung ein. Studiendirektor Theo Emmer vom Bayerischen Geschichtslehrerverband und dem Bayerischen Philologenverband freute sich über den schularten- und regierungsbezirksübergreifenden Teilnehmerkreis und dankte den Veranstaltern, vor allem dem wissenschaftlichen Leiter Dr. Josef Memminger (Akademischer Oberrat), Leiter der Abteilung Geschichtsdidaktik, sowie allen Referenten für ihr Engagement.
In seinem Einführungsvortrag ging Dr. Josef Memminger von der Wahrnehmung des geschichtskulturellen Ortes Archiv zwischen den Polen Faszination und Verstaubtheit aus. Daraufhin erläuterte er die curricularen Anknüpfungsmöglichkeiten und zeigte die Potenziale von Archivarbeit für den Geschichtsunterricht auf. Dabei seien die Ermöglichung forschend-entdeckenden Lernens, die Förderung von historischer Frage-, Methoden- und Orientierungskompetenz sowie das geschichtskulturelle Lernen (Archiv als gesellschaftlicher Erinnerungsspeicher) einige der wesentlichen Aspekte. Als Herausforderung bei der Archivarbeit wurde insbesondere die „Lesefähigkeit“ für Archivalien genannt; schließlich sei selbst bei Studierenden festzustellen, dass sie bereits mit Texten in Frakturschrift Probleme hätten. Schließlich erläuterte Memminger die Verwirklichungsniveaus schulischer Begegnung mit Archiven: Das könne vom einmaligen informierenden Besuch über arrangierten Unterricht im Archiv bis hin zum echten Erforschen von Archivalien gehen.
Dr. Heike Wolter, Akademische Rätin in der Abteilung Geschichtsdidaktik, stieg in ihren Beitrag „Erste Begegnung von SchülerInnen mit dem Archiv - eine Anleitung“ mit einer provozierenden Schülerfrage ein: „Warum sollen wir ins Archiv - es gibt doch Google?“ Die Referentin lieferte als Antwort gleich eine Gegenfrage: „Woher weiß Google, was es weiß?“ Geschichtsunterricht müsse die SchülerInnen befähigen, kritisch mit Informationen umzugehen. Gerade in unserem Medienzeitalter sei es für das historische Lernen unabdingbar, sich des Entstehungsweges geschichtlicher Erkenntnis bewusst zu sein. Einen elementaren „Speicher“ der Erinnerung stellte in dieser Hinsicht das Archiv dar und darum seien schulische Begegnungen damit unabdingbar. Möglichkeiten hierfür böten sich zahlreich – und das nicht erst in der Oberstufe, sondern ebenso in frühen Phasen des historischen Lernens. Im Hauptteil ihres Referats stellte die Referentin Lernformen im Archiv vor, untersuchte die Eignung verschiedener Archive für die Erstbegegnung und gab praktische Tipps für das historische Lernen im Archiv.
Mit Archivoberrat Dr. Artur Dirmeier stand ein Mann der Praxis den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Fortbildung Rede und Antwort. Der Referent leitet das Archiv der St.-Katharinenspitalstiftung Regensburg und ist ehrenamtlicher Archivpfleger des Landkreises Regensburg. In dieser Funktion ging er auf das „Potenzial der Nutzung kommunaler Archive für die Schulen“ ein und wies zunächst auf den Arbeitskreis für Archivpädagogik und historische Bildungsarbeit hin (www.archivpaedagogen.de), bevor er anschaulich darlegte, welche Archivtypen es gibt, welche rechtlichen Bestimmungen zu beachten sind und wie bei einer lokalgeschichtlichen Recherche in einem kommunalen Archiv vorzugehen ist.
Archivoberrat Dr. Till Strobel, stellvertretender Leiter des Staatsarchivs Amberg, widmete sich in seiner Präsentation unterschiedlichen „Möglichkeiten für Recherche, Forschung und entdeckendem Unterricht im Staatsarchiv Amberg am Beispiel von Spruchkammerakten (zum Themenbereich ‚Entnazifizierung in der Oberpfalz‘)“. Zunächst ging er auf die staatlichen Archive Bayerns und ihre Aufgaben ein und stellte insbesondere sein Haus vor (F http://www.gda.bayern.de/archive/amberg/). Im Anschluss widmete er sich den auf Schulen zugeschnittenen Betreuungsangeboten und zeigte, welche Möglichkeiten es gibt, die für schulische Forschungen vorzüglich geeigneten Spruchkammerakten in den Geschichtsunterricht innerhalb des Themenkomplexes Entnazifizierung zu integrieren. Diese Bestände des Staatsarchivs Amberg wurden von StD Emmer mit seinem W-Seminar Geschichte am Gymnasium Parsberg kürzlich mit großem Erfolg genutzt.
Über ein Archiv-Projekt von Geschichtsstudenten und GymnasiastInnen in Zusammenarbeit mit dem Spitalarchiv und Dr. Dirmeier berichteten Margareta Turk, an die Abteilung Geschichtsdidaktik abgeordnete Grundschullehrerin, und Martina Köglmeier, Studienrätin am Von-Müller-Gymnasium Regensburg. Aus der Zusammenarbeit der Kooperationspartner erwuchs die Ausstellung „Pfründner – Brauer – Beutelschneider. Regensburg und sein Spital im Mittelalter“. Die Referentinnen legten dar, wie es bei entsprechender Anleitung und Unterstützung auch Siebtklässlern möglich ist, Fragen an die Geschichte zu stellen, „alte“ Schriften und Archivalien zu untersuchen und eine Ausstellung auf die Beine zu stellen, die im öffentlichen Raum präsentiert wird und großen Zuspruch erfährt (http://www.mittelbayerische.de/region/regensburg/stadtteile/kumpfmuehl-ziegetsdorf-neupruell/schueler-spueren-mittelalter-alltag-nach-21357-art1294100.html).
Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Exkursion in die Regensburger Innenstadt, wobei die Teilnehmer wählen konnten, ob sie vor Ort das Spitalarchiv oder das Stadtarchiv Regensburg kennen lernen wollten. Beide Archiv-Orte informierten über ihre Geschichte und gewährten Einblick in interessante Bestände.
Das Regensburger Jubiläumskontaktstudium für Geschichtslehrer unterstrich einmal mehr die Bedeutung der Vernetzung von Universität und Schule über das Angebot der Lehramtsstudiengänge hinaus. Die nächsten beiden Runden der erfolgreichen Reihe sind schon angedacht, das Angebot im kommenden Jahr wird sich alternierend wieder auch an Sozialkundelehrer richten: Arbeitstitel „Globalisierung in historischer Perspektive“.
Theo Emmer
14. Kontaktstudium
14. Regensburger Kontaktstudium für Geschichts-/Sozialkundelehrer:
„Zeitgeschichte seit 1991. Strukturen, Entwicklungsprozesse, Akteure“
Rund 100 Geschichts-/Sozialkundelehrer vorwiegend oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien, Berufs-/Fachober- und Realschulen folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und des Instituts für Anglistik und Amerikanistik an der Universität Regensburg, die in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Geschichtslehrerverband, der Bezirksfachgruppe Geschichte/Sozialkunde Oberpfalz im Bayerischen Philologenverband und dem Regensburg European American Forum das zwölfte Regensburger Kontaktstudium ausrichteten.
In ihren Eröffnungsansprachen gingen Prof. Dr. Volker Depkat für die Universität Regensburg sowie Studiendirektor Albert Freier von der MB-Dienststelle für die Gymnasien in der Oberpfalz auf Bedeutung und wesentliche Anliegen dieser Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Zeitgeschichte seit 1991. Strukturen, Entwicklungsprozesse, Akteure“ ein. Studiendirektor Theo Emmer vom Bayerischen Geschichtslehrerverband und dem Bayerischen Philologenverband freute sich über den schularten- und regierungsbezirksübergreifenden Teilnehmerkreis und dankte den Veranstaltern, vor allem dem wissenschaftlichen Leiter Prof. Dr. Volker Depkat (Professor für Amerikanistik an der Universität Regensburg und Historiker), und allen Referenten für ihr Engagement.
Prof. Dr. Mark Spoerer (Lehrstuhl für Wirtschaft- und Sozialgeschichte) referierte zum Thema „Entwicklungsprozesse und Grundprobleme der Weltwirtschaft seit 1991“. Francis Fukuyamas These vom „Ende der Geschichte“ (1992), demzufolge der Zerfall der Sowjetunion die endgültige Durchsetzung von Kapitalismus, Marktwirtschaft und Demokratie und das Ende aller globalen (System-)Konflikte bedeute, treffe so nicht zu. Eine liberalisierte Wirtschaft kann zunehmende Ungleichheit und somit neue Konflikte begünstigen. Bei der Entwicklung der Weltwirtschaft ist der Bereich von Technologie und Arbeit zentral: Fortschritte wurden vor allem auf den Gebieten Informations- und Kommunikationstechnologie, Umwelttechnologie sowie Gen- und Medizintechnik erzielt. Professor Spoerer betonte, dass neue Technologien nicht nur bestehende Arbeitsstellen gefährden, sondern immer auch neue schaffen. Die Globalisierung führt zu einer zunehmenden wirtschaftlichen und kulturellen Vernetzung der Weltwirtschaft und ermöglicht neuen Akteuren wie China größeren Einfluss. Hinzu kommen enorme globale Migrationsbewegungen. Diese Entwicklungen führen zu steigenden Belastungen für die Umwelt und wachsenden Anforderungen an den Wohlfahrtsstaat und erfordern eine Anpassung der Gesellschaft, um den Generationenvertrag nicht nachhaltig zu gefährden; auch eine Anhebung des Rentenalters sei - so der Referent - auf lange Sicht nicht zu vermeiden. Künftige Herausforderungen sieht Professor Spoerer im demographischen Wandel, in der Klimaveränderung sowie den Auswirkungen der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Vernetzung auf die Gesellschaft. Die soziale Kohärenz einzelner Staaten sei in Frage gestellt, wobei zu diskutieren sei, ob eine „Leitkultur“ heute überhaupt noch notwendig sei.
In seinem Beitrag „Krisenherd Ost- und Südosteuropa seit 1991“ veranschaulichte Prof. Dr. Ulf Brunnbauer (Lehrstuhl für Geschichte Südost- und Osteuropas) nach einer kurzen Erläuterung der aktuellen Forschungstrends die Situation in der im Fokus stehenden Region. Seit 1991 stehen einige Länder vor gewaltigen Herausforderung: Demokratisierung, Umstellung der Wirtschaft auf eine kapitalistische Marktwirtschaft, zudem wurden stellenweise ganz neue Staaten geschaffen. Professor Brunnbauer hinterfragte des Weiteren den Begriff „Pulverfass Balkan“. Konfliktpotential ergab sich hauptsächlich aus der geographischen Lage am Rande konkurrierender Mächte, die den Balkan zu einem Schauplatz geopolitischer Konkurrenz machten. Internationale Interventionen (Protektorate, UNO, NATO) sind folglich typisch. Ein besonderes Augenmerk warf der Referent auf Bosnien-Herzegowina, dessen Zweiteilung in die Republik Srpska und in die bosnisch-herzegowinische Föderation die Staatlichkeit dieses Landes hinterfragbar machen. Mannigfaltige Konflikte sorgen dafür, dass diese Region für Investitionen wenig attraktiv ist und der Balkan als das „Armenhaus Europas“ bezeichnet wird. Eine niedrige Geburtenrate, hohe Abwanderungszahlen und ein Zurückbleiben vor allem älterer Menschen stellen diese Länder vor zusätzliche Herausforderungen. Auch eine politische Kultur, die wenig geeignet zur Krisenbewältigung ist, und ein hohes Maß an Korruption sind weitere wichtige Faktoren im Krisendiskurs Ost- und Südosteuropas. Für viele Länder lautet die zentrale Krisenantwort: europäische Integration.
Prof. Dr. Stephan Bierlings (Professur für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen) Thema lautete „Krisenzeiten: Die größten außenpolitischen Herausforderungen für Europa und was Deutschland tun kann“ - den Vortrag dazu könnte man infolge der heutzutage extrem schnellen Entwicklungen täglich neu schreiben, was die Terroranschläge in Frankreich am folgenden Tag auf tragische Art und Weise unterstrichen haben. „Die Welt ist aus den Fugen geraten“ und der europäische Plan, einen Ring aus Freunden um sich zu versammeln, sei eher zu einem „ring of fire“ geraten. Alle derzeitigen Krisen hätten einen gemeinsame Nenner und kulminierten in der Flüchtlingskrise. Dabei sei Deutschland Dreh- und Angelpunkt geworden. Gründe hierfür sieht Professor Bierling darin, dass Deutschland sowohl ökonomisch als auch geographisch größer geworden ist und durch den Wegfall des Eisernen Vorhangs, der den europäischen Einfluss begrenzte, auch östlicher. Zudem sei Europa nach dem Rückzug der USA auf sich allein gestellt, was derzeit mehr schlecht als recht gelänge. Daraufhin wurden die drei derzeit größten Konflikte für Europa erläutert. An dritter Stelle steht für Professor Bierling die Ukraine-Krise. Deutschland habe sich zunächst zurückgehalten und sei erst nach Abschuss eines Passagierflugzeugs zur treibenden Kraft in Europa geworden. Durch ihre rationale Haltung habe Angela Merkel versucht, den Westen zusammenzuhalten - Deutschland sei der einzige Staat, der das könne - und mit Hilfe politischer statt militärischer Entschlossenheit Europa nicht angreifbar zu machen. An die zweite Stelle setzte der Referent die Euro(pa)-Krise. Griechenland offenbart, dass die EU durchaus zerbrechen kann. Ohne EU sei Deutschland exponiert, andere Staaten könnten sich dagegen wenden. Der aktuell dringlichste Konflikt Europas ist laut Bierling die Flüchtlingskrise, die auch die Stabilität Deutschland bedrohe, das wiederum in der Pflicht sei, Lösungen zu finden, wobei es seiner Führungsposition nicht nur zögerlich nachkommen dürfe. Es zeige sich jedoch immer mehr, dass nicht alle Probleme mit Verhandlungen oder Geld gelöst werden können. Um auf alle Eventualitäten reagieren zu können, müsse die aktuell schlechte personelle, konzeptionelle und materielle Situation dringend verbessert werden.
Prof. Dr. Volker Depkat ging in seiner Präsentation „Die USA seit 1991“ auf die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik, auf die neu entstandenen Ungleichheiten, auf die Diversität, Pluralität und die sich im Schatten der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung formierende Kultur des „Rights Consciousness“ sowie auf die politische Polarisierung und die Kulturkämpfe in den USA ein. Waren die 90er-Jahre noch von einem Wachstumsschub bestimmt, so ging es mit der Wirtschaft mit dem NASDAQ-Crash 2001 bergab, um nach einer kurzen Erholungsphase 2008 in eine erneuten Finanzkrise zu münden. Professor Depkat stellte dabei heraus, dass der Kern des amerikanischen Wirtschaftssystems im „limited government“ liegt, d. h. in der Zurücknahme des Einflusses des Staates. Im Gegensatz dazu stand die „New Deal“-Politik Roosevelts, die wiederum eine „konservative Wende“ hervorrief, die durch die Kritik am New Deal und durch Schlagwörter wie Steuersenkungen, Monetarismus und „supply-side economics“ umrissen werden kann. Durch einen wirtschaftlichen Strukturwandel und das Entstehen einer postindustriellen Gesellschaft kam es zu neuen Ungleichheiten materieller und sozialer Natur. In einer „Winner-Take-All-Economy“ wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer, so dass man von einer neuen Sichtbarkeit von Armut in den USA sprechen kann. Ein weiterer Aspekt, auf den Depkat in seinem Vortrag einging, ist der beschleunigte Pluralisierungsprozess seit 1991. Die Liberalisierung der Einwanderung brachte einen ethnisch-kulturellen Strukturwandel mit sich, wobei zunehmend eine Enteuropäisierung und stattdessen eine Hispanisierung festgestellt werden kann. Zentral für die Pluralisierungsprozesse ist auch ein neu entstehendes Rechtsbewusstsein: das Recht, anders sein zu dürfen. Abschließend schilderte Professor Depkat die politische Polarisierung und die Kulturkämpfe. Diese eskalierten in den 90er-Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges, als der äußere Feind verschwunden war und man sich mit den Feinden im Inneren auseinanderzusetzen begann. Heutzutage scheint diese Polarisierung weitreichender denn je mit Themen wie Evolution, Ehe, Familie, Sexualität und vor allem auch Homosexualität. Untermauert wurde diese Aktualität mit der Tatsache, dass Papst Franziskus während seines Aufenthaltes in den USA Kim Davis, einer Standesbeamtin, die sich geweigert hatte, eine Heiratsurkunde für Homosexuelle auszustellen, für ihren Mut dankte.
Das Regensburger Jubiläumskontaktstudium für Geschichts- und Sozialkundelehrer unterstrich einmal mehr die Bedeutung der Vernetzung von Universität und Schule über das Angebot der Lehramtsstudiengänge hinaus. Die nächsten beiden Runden der erfolgreichen Reihe sind schon angedacht.
Theo Emmer
13. Kontaktstudium
13. Kontaktstudium für Geschichtslehrer an der Universität Regensburg
„Was sagt uns das Alte Reich heute noch? Zugänge zur frühneuzeitlichen Geschichte unter besonderer Berücksichtigung des Immerwährenden Reichstages“
Über 50 Geschichtslehrer vorwiegend oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien, Berufs-/ Fachober- und Realschulen, aber auch interessierte KollegInnen aus dem übrigen Bayern folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und der Universität Regensburg, die in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Geschichtslehrerverband und der Bezirksfachgruppe Geschichte/Sozialkunde Oberpfalz im Bayerischen Philologenverband das 13. Regensburger Kontaktstudium ausrichteten.
In ihren Eröffnungsansprachen gingen der Vizepräsident der Universität Regensburg für Studium, Lehre und Weiterbildung, Prof. Dr. Nikolaus Korber, sowie Studiendirektor Albert Freier von der MB-Dienststelle für die Gymnasien in der Oberpfalz auf Bedeutung und wesentliche Anliegen dieser Fortbildungsveranstaltung ein. Studiendirektor Theo Emmer vom Bayerischen Geschichtslehrerverband und dem Bayerischen Philologenverband freute sich über den schularten- und regierungsbezirksübergreifenden Teilnehmerkreis und dankte den Veranstaltern, vor allem den wissenschaftlichen Leitern Prof. Dr. Harriet Rudolph (Lehrstuhl für Neuere Geschichte - Frühe Neuzeit) und AOR Josef Memminger (Leiter der Abteilung Geschichtsdidaktik), der die Tagung zum größten Teil organisiert hat, sowie allen Referenten für ihr Engagement.
Prof. Dr. Harriet Rudolph skizzierte in ihrem Grundlagenvortrag zu den „Aktuellen Ansätzen der Frühneuzeitforschung am Beispiel des Immerwährenden Reichstags“, wie sich der Blick auf das Alte Reich und den Immerwährenden Reichstag als Institution im Laufe der Zeit geändert hat. Sah die ältere Forschung, geprägt vor allem vom negativen Bild preußischer Geschichtsschreibung, wenig Positives an dem zersplitterten Reichsgebilde, kamen Geschichtswissenschaftler in jüngerer Zeit zu einer wesentlich milderen, tendenziell sogar positiven Beurteilung. Nun werden von einigen Forschern vielleicht sogar zu intensiv Bezüge zur Gegenwart hergestellt, indem das zersplitterte Alte Reich als Vorbild für Staatengemeinschaften wie die EU in Anspruch genommen wird oder der Immerwährende Reichstag als avantgardistisches „Parlament“ interpretiert wird. Prof. Rudolph legte überzeugend die verschiedenen Forschungsrichtungen und Untersuchungsfelder dar und ging abschließend auch auf die weiterhin bestehenden Desiderate bei der Erforschung der Geschichte des Immerwährenden Reichstags ein.
Dr. Josef Memminger nahm den Aspekt eines Wandels in der historiographischen Deutung des Immerwährenden Reichstages auf, indem er nachwies, dass eine analoge Entwicklung in Schulbuchdarstellungen verschiedener Zeiten zu konstatieren ist. In Schulbüchern des Kaiserreichs (1871-1918) wird das Alte Reich ausschließlich negativ beurteilt und der Immerwährende Reichstag entweder gar nicht erwähnt oder mit Geringschätzung behandelt bzw. geradezu verspottet. In einem Beispiel aus einem Schulbuch von 1883 heißt es dementsprechend: „Verhöhnt vom Auslande, von den Deutschen selbst mißachtet, glich der Reichstag einer Maschine, die nur noch klapperte, ohne irgend etwas Bedeutendes auszurichten.“ Dagegen sei die Darstellung des Immerwährenden Reichstags in Schulbüchern der Gegenwart wesentlich ausgewogener, wenn auch festgestellt werden müsse, dass er nur in Lehrwerken der Realschulen (8. Klasse) und der gymnasialen Oberstufe (12. Klasse) thematisiert wird.
Dr. Christian König stellte in seinem Vortrag „Reichstagsgesandte auf Facebook“ eine Projektidee vor, die er über eine Lehrveranstaltung an der Universität Regensburg gemeinsam mit Studierenden entwickelte und die in Kooperation mit der Stadt Regensburg zum 350. Jahrestag des Zusammentretens des Immerwährenden Reichstages 2013 realisiert wurde: Für den historisch nachweisbaren britischen Reichstagsgesandten Sir George Etherege wurde ein fiktiver Facebook-Auftritt erarbeitet und der Öffentlichkeit verfügbar gemacht. In den entsprechenden Einträgen berichtet Etherege launig in der Ich-Form über seinen Alltag im 17. Jahrhundert, es werden aber zudem allgemein verständliche Erläuterungen zum Immerwährenden Reichstag und den historisch-politischen Zusammenhängen dieser Zeit geliefert. Die Seite ist aufrufbar unter: https://www.facebook.com/pages/Sir-George-Etherege-am-Reichstag-zu-Regensburg/465519200193685? fref=ts
Dr. Astrid von Schlachta widmete sich schließlich der interessanten und wenig bekannten Quellengattung: „Vom Charme des Todes. Was Leichenpredigten zur Zeit des Immerwährenden Reichstags über Gesellschaft und Politik verraten“. Sie erläuterte kenntnisreich Entstehungsumstände und Charakteristika frühneuzeitlicher Leichenpredigten und deren Funktionen, z. B. Trost, Erbauung, Ehrung des Toten, aber auch Propaganda. Am Beispiel einer Leichenpredigt des Mainzer Prinzipalgesandten Ignaz Franz Otten konnten die Teilnehmer der Fortbildung selbst erschließen, dass die Textgattung nicht nur sozial- und mentalitätsgeschichtliche Erkenntnisse liefert, sondern nicht selten auch Aussagen über das Reich und politische Angelegenheiten zu finden sind.
Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Exkursion in die Regensburger Innenstadt, bei der die Teilnehmer zwischen zwei Orten wählen konnten, die für die Geschichte des Immerwährenden Reichstags von zentraler Bedeutung sind und sich als Lernorte für SchülerInnen anbieten. Eine Gruppe besichtigte das Alte Rathaus und das Reichstagsmuseum. Die zentralen Versammlungsorte der Gesandten und der unterschiedlichen Kollegien am Immerwährenden Reichstag - Kurfürsten, Fürsten, Reichsstädte - können dort erkundet werden. Am eindrucksvollsten ist dabei sicher der monumentale Reichssaal, der von der Stadt Regensburg immer noch für repräsentative Veranstaltungen verwendet wird. - Die zweite Gruppe wurde ehrenamtlich von Dr. Klaus-Peter Ruess mit großer Sachkunde durch den Friedhof der protestantischen Gesandten am Immerwährenden Reichstag bei der Dreieinigkeitskirche geführt. Das erste Begräbnis hier fand 1633 statt, für die Zeit von 1641 bis 1787/1803 ist ein umfangreiches Verzeichnis aufrufbar unter: http://www.dreieinigkeitskirche.de/node/26
Das Regensburger Jubiläumskontaktstudium für Geschichtslehrer unterstrich einmal mehr die Bedeutung der Vernetzung von Universität und Schule über das Angebot der Lehramtsstudiengänge hinaus. Die nächsten beiden Runden der erfolgreichen Reihe sind schon angedacht, das Angebot im kommenden Jahr wird sich alternierend wieder auch an Sozialkundelehrer richten: Arbeitstitel „Zeitgeschichte seit 1991 - Entwicklungsprozesse, Strukturen, Akteure.
Theo Emmer
12. Kontaktstudium
12. Regensburger Kontaktstudium für Geschichts-Sozialkundelehrer: „Geschichte des Rassismus“
80 Geschichts-/Sozialkundelehrer vorwiegend oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien, Berufs-/ Fachober- und Realschulen folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und des Instituts für Anglistik und Amerikanistik an der Universität Regensburg, die in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Geschichtslehrerverband, der Bezirksfachgruppe Geschichte/Sozialkunde Oberpfalz im Bayerischen Philologenverband und dem Regensburg European American Forum das zwölfte Regensburger Kontaktstudium ausrichteten.
In ihren Eröffnungsansprachen gingen der neue Präsident der Universität Regensburg, Prof. Dr. Udo Hebel, sowie Studiendirektor Albert Freier von der MB-Dienststelle für die Gymnasien in der Oberpfalz auf Bedeutung und wesentliche Anliegen dieser Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Geschichte des Rassismus“ ein. Studiendirektor Theo Emmer vom Bayerischen Geschichtslehrerverband und dem Bayerischen Philologenverband freute sich über den schularten- und regierungsbezirksübergreifenden Teilnehmerkreis und dankte den Veranstaltern, vor allem dem wissenschaftlichen Leiter Prof. Dr. Volker Depkat (Professor für Amerikanistik an der Universität Regensburg und Historiker), und allen Referenten für ihr Engagement.
Für die Eröffnungspräsentation „Rassismus in Ideologie und Praxis des deutschen Kolonialismus“ hatte Volker Depkat den Münsteraner Experten Prof. Dr. Horst Gründer gewonnen. Der deutsche Kolonialismus war Teil einer globalen Kolonialismusbewegung. Dabei dienten verschiedene, meist pseudowissenschaftliche Quellen als Rechtfertigung für die Unterwerfung und Kolonialisierung indigener (einheimischer) Völker: Verbreitet waren verschiedene Rassenideologien, aus der Bibel abgeleitete Theorien, biologische Rechtfertigungen auf Basis von Abstammungslehren, philosophische Theorien (u.a. Hegel, Kant) und das Prinzip des Sozialdarwinismus. # Was die Haltung der deutschen Kolonialisten gegenüber den Einheimischen betrifft, lassen sich vier verschiedene Standpunkte ableiten. Der paternalistische Standpunkt sah den Afrikaner entwicklungsgeschichtlich als Kind an, das es nach dem Prinzip „streng aber gerecht“ zu zivilisieren gelte. Der radikal-rassistische Standpunkt war geprägt von der Überzeugung, dass Afrikaner und Chinesen kaum zu zivilisieren seien, woraus Helotendasein oder Vernichtung konstruiert wurden. Der dritte Standpunkt war geprägt vom christlichen Missionierungsgedanken, welcher in der Folge auch die Möglichkeit einer relativ freien einheimischen Wirtschaft in Betracht zog; die gefühlte Verantwortung der Missionare für die Erziehung der indigenen Völker führte aber auch hier zu einem Abhängigkeitsverhältnis. Zuletzt nannte Gründer den rational-utilitaristischen Standpunkt, dessen Vertreter möglichst viel wirtschaftlichen Profit aus den Kolonien ziehen wollten, wofür sie eine Erziehung der Eingeborenen ebenso für notwendig hielten. # Gründer skizzierte aber auch individuelle Beispiele von Gouverneuren (Samoa, Papua-Neuguinea), die die Erhaltung der indigenen Kulturen forcierten, Einheimische in die Verwaltung einbezogen, „Mischehen“ zuließen und das Prädikat des „Kulturdeutschen“ verliehen. # Daraus lässt sich schließen, dass der Rassismus in den deutschen Kolonien verschiedene Spielarten kannte und dass aufgrund individueller Akteure und deren Überzeugungen die Behandlung der Einheimischen in den verschiedenen Regionen mitunter deutliche Unterschiede zeigte.
Zu Beginn seiner Präsentation „Rassismus in der Geschichte der USA“ klärte Prof. Dr. Manfred Berg, der eine Professur für amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg innehat, den Begriff „Rassismus“, indem er das Rassedenken der Neuzeit untersuchte, eine typologische Unterscheidung zwischen Ausbeutungs- und Ausrottungsrassismus vornahm, Rasse als soziale Konstruktion darstellte und Rassismus und Ethnozentrismus gegenüberstellte. # Die Geschichte des Rassismus gegenüber den Afro-Amerikaner in Nordamerika beginnt mit der Sklaverei, wobei strittig ist, ob rassische Stigmatisierung Konsequenz oder Voraussetzung war. „Rassenmischungen“ sollten verhindert werden. Thomas Jefferson war im Widerspruch zu der von ihm verfassten Unabhängigkeitserklärung selber Sklavenhalter, mit einer seiner Sklavinnen hatte er eine Beziehung. # Berg skizzierte die Entwicklung der Afro-Amerikaner von Sklaven zu freien Bürgern. Ein Meilenstein dabei waren die Verfassungszusätze nach dem Bürgerkrieg (1865 Verbot der Sklaverei, 1868 Schwarze US-Bürger / Gleichheit vor dem Gesetz, 1870 gleiches Wahlrecht für schwarze Männer). Demgegenüber standen institutionalisierte Versuche, die rechtliche Gleichstellung zu unterwandern (etwa Jim-Crow-Laws zur Rassentrennung 1876. Das Bürgerrechtsgesetz von 1964 verbot die Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen sowie die Diskriminierung wegen Rasse, Geschlecht, Religion. # Berg ging jedoch nicht nur auf die Afro-Amerikaner ein, sondern betrachtete auch immer wieder das Verhalten gegenüber den Ureinwohnern, Asiaten und Lateinamerikanern. # Die Präsentation wurde mit dem Gedanken abgerundet, dass Rassismus aus der US-Gesellschaft immer noch nicht verschwunden ist (Fall Trayvon Martin 2012!).
„Geschichte des Rassismus – Ideologie, Strukturen und Prozesse“ war der Vortrag von Prof. Dr. Boris Barth (Konstanz) überschrieben. Den Begriff „Rassismus“ gibt es erst seit den 1920er Jahren, obwohl es das Phänomen an sich schon früher gab. Der Begriff „Rasse“ wurde hingegen schon vorher verwendet, war jedoch ein sehr weit gefasster Begriff und hatte andere Konnotationen als heute. Auch der Begriff „Genozid“ kann problematisch sein, da er etwa im US-Amerikanischen eine sehr viel breitere Bedeutung als „Völkermord“ hat. # Im zweiten Teil seines Beitrags betrachtete Prof. Dr. Boris Barth verschiedene Eckpunkte in der Geschichte. Es gibt Belege, wonach die Römer keine Vorstellung von menschlichen Rassen hatten; diese beginnen in der frühen Neuzeit. Formen der Abgrenzung entwickelten sich erst durch den Sklavenhandel bzw. in europäischen Siedlergesellschaften, theoretische Begründungen kamen Ende des 18. Jahrhunderts durch den Einfluss der Aufklärung. Zwei unterschiedliche Ansätze sind die Monogenese, die von einem einzigen Ursprungsraum der Menschheit ausgeht, und die Polygenese, nach der die Menschheit an unterschiedlichen Stellen entstanden ist. # Barth zeigte des Weiteren den Zusammenhang zwischen Darwins Evolutionstheorie und Rassismus auf. Der Sozialdarwinismus wurde oft falsch interpretiert und so wurden Ideen hergeleitet, die nicht in der Darwins Theorie enthalten waren. # Ein neuerer Forschungsstrang war laut Berg die Eugenik, die sich im Besitz einer eindeutigen biologischen Wahrheit glaubte. Schon vor dem Ersten Weltkrieg existent, fand sie vor allem danach Anwendung und gipfelte in der nationalsozialistischen „Rassenhygiene“. # Der Vortrag endete mit einer Problematisierung des Begriffs „Ethnie“, der das Bedürfnis nach Kategorisierung widerspiegelt. Der Erste Weltkrieg zerstörte multiple Identitäten, es kam der Zwang auf, sich zu einer Identität bekennen zu müssen. Die Nazis trieben das dann zum Extrem.
Das Regensburger Jubiläumskontaktstudium für Geschichts- und Sozialkundelehrer unterstrich einmal mehr die Bedeutung der Vernetzung von Universität und Schule über das Angebot der Lehramtsstudiengänge hinaus. Die nächsten beiden Runden der erfolgreichen Reihe sind schon angedacht.
Theo Emmer
11. Kontaktstudium
11. Regensburger Jubiläumskontaktstudium für Geschichtslehrer:
„Das Lernpotenzial außerschulischer Lernorte – Regensburg und Umgebung“
70 Geschichtslehrer vorwiegend oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien, Berufs-/ Fachober- und Realschulen folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus und der Abteilung Geschichtsdidaktik an der Universität Regensburg, die in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Geschichtslehrerverband und der Bezirksfachgruppe Geschichte/Sozialkunde Oberpfalz im Bayerischen Philologenverband das elfte Regensburger Kontaktstudium ausrichteten.
In seiner Eröffnungsansprache betonte der Rektor der Universität Regensburg, Prof. Dr. Thomas Strothotte, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit zwischen Universität und Schule für die gesellschaftliche Entwicklung des Landes sei. Laut Studiendirektor Albert Freier von der MB-Dienststelle für die Gymnasien in der Oberpfalz ist in Regensburg eine enge Kooperation auch dadurch gewährleistet, dass ehemalige Gymnasiallehrer an der Universität Geschichtsdidaktik lehren. OStR Theo Emmer vom Bayerischen Geschichtslehrerverband und dem Bayerischen Philologenverband freute sich über den schularten- und regierungsbezirksübergreifenden Teilnehmerkreis und dankte den Veranstaltern, vor allem dem wissenschaftlichen Leiter AOR Dr. Josef Memminger (Leiter der Abteilung Geschichtsdidaktik an der Universität Regensburg), und allen Referenten für ihr Engagement.
Dr. Josef Memminger erörterte in seinem Einführungs- und Grundlagenvortrag „Geschichte findet v. a. draußen statt!“ die Bedeutung und das Potenzial der Einbeziehung außerschulischer Phänomene für den Geschichtsunterricht. Als Einstieg in seine Ausführungen diente dem Referenten die historische Entwicklung der ehemaligen Von-der-Tann-Kaserne in Regensburg, deren Gebäude heute Behörden beherbergen und deren Exerzierplatz seit Ende der 50er Jahre als Park genutzt wird. Grundsätzlich gebe es für außerschulische Lernorte vier Hauptkategorien: Die „historischen Orte“ im engeren Sinne, die Stätten der Sammlung, Erforschung und Präsentation von Geschichte (wie Museen oder Archive), „virtuelle Orte“ sowie geschichtskulturelle Phänomene (z. B. Erlebnisführungen, Re-enactment-Events, Mittelaltermärkte). Das Schlagwort Geschichtskultur habe in den letzten Jahren in der Didaktik enorm an Bedeutung gewonnen; daher sei es Aufgabe der Schule, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, sich mit geschichtskulturellen Angeboten kritisch auseinanderzusetzen, um – neben anderen bedeutenden Kompetenzen – „Orientierungskompetenz“ zu erwerben. Am Ende des Vortrags lieferte Memminger praktische Tipps für den Unterricht, mit denen außerschulische Lernorte entdeckend-produktiv erschlossen werden können.
Prof. Dr. Christian Kuchler, der eine Professur für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der RWTH Aachen innehat, setzte sich dann vor allem mit der Kategorie der „historischen Orte“ im engeren Sinne auseinander. Zu Beginn kontextualisierte er den Themenkomplex vor dem Hintergrund des sogenannten „spatial turns“, also der Hinwendung zum „Raum“ in Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik. In einem zweiten Teil wurden an den lokalen Beispielen Regensburg und Osterhofen Möglichkeiten aufgezeigt, multisensorisches Lernen zu initiieren. Und schließlich erörterte der Referent die besondere historische Dignität von UNESCO-Welterbestätten; eine solche stellt ja auch die Altstadt von Regensburg mit Stadtamhof dar.
Bezirksheimatpfleger Dr. Tobias Appl führte dem Plenum Möglichkeiten und Beispiele der Erkundung historischer Orte außerhalb ausgetretener Pfade vor Augen. Zuerst stand dabei die Kreuzhofkapelle bei Barbing im Mittelpunkt, ein bedeutendes Baudenkmal, das insgesamt (zu) wenig bekannt ist. Als Nächstes widmete sich Appl den Spuren des Immerwährenden Reichstags in Regensburg, unter anderem am Beispiel des Gesandtenfriedhofs bei der Dreieinigkeitskirche. Zum Abschluss wurde auch die Neueste Geschichte gestreift, indem Erinnerungspunkte zu den Messerschmitt-Werken während der Zeit des Nationalsozialismus vorgestellt wurden.
Am Nachmittag standen zwei Workshops auf dem Programm: AOR Dr. Heinrich Konen vom Lehrstuhl für Alte Geschichte stellte das mittlerweile überregional bekannte Projekt „Navis Lusoria“ vor, bei dem eine römische Flussgaleere mit Methoden der experimentellen Archäologie nachgebaut und für Forschungszwecke „getestet“ wurde. Auch Schulklassen können schon seit Längerem „rudern wie die Römer“. Sie empfinden durch Fahrten auf der Galeere nach, wie die Verteidigung der Reichsgrenze über solche Flussgaleeren funktionierte. Dr. Josef Memminger gab Einblick in den Stand der von der Robert-Bosch-Stiftung geförderten „Denkwerk“-Initiative „Lernort Weltkulturerbe Regensburg“, wobei besonders die Teilprojekte präsentiert wurden, die mit der Erforschung historischer Orte zu tun hatten.
Den Abschluss des Fortbildungstages bildete eine gemeinsame Exkursion zum „Besucherzentrum Welterbe“ im Salzstadel bei der Steinernen Brücke in der Regensburger Innenstadt. Der Welterbekoordinator der Stadt, Matthias Ripp, führte die Teilnehmer durch die Präsenzausstellung und erläuterte die Konzeption, den Aufbau und die gestalterischen Mittel, die die Präsentation, die ein erster Anlaufpunkt für Besucher Regensburgs sein soll, zu einem echten „Multimedia-Erlebnis“ machen.
Das erfolgreiche Regensburger Kontaktstudium wird fortgesetzt: Unter dem Arbeitstitel „Geschichte des Rassismus“ sind für den 7.11.2013 Geschichts- und Sozialkundelehrer angesprochen, für 2014 wird wieder eine geschichtsdidaktische Veranstaltung angepeilt.
Theo Emmer
10. Kontaktstudium
Regensburger Jubiläumskontaktstudium für Geschichts-/Sozialkundelehrer: „Migration Kulturtransfer, Nationenbildung“
90 Geschichts-/Sozialkundelehrer vorwiegend oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien, Berufs-/ Fachober-, Real- und Mittelschulen folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus und des Instituts für Anglistik und Amerikanistik an der Universität Regensburg, die in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Geschichtslehrerverband, der Bezirksfachgruppe Geschichte/Sozialkunde Oberpfalz im Bayerischen Philologenverband und dem Regensburg European American Forum (REAF) das zehnte Regensburger Kontaktstudium ausrichteten.
In ihren Eröffnungsansprachen gingen der Rektor der Universität Regensburg, Prof. Dr. Thomas Strothotte, REAF-Direktor Dr. Udo Hebel sowie der Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in der Oberpfalz, Ltd. OStD Paul Lippert, auf die wesentlichen Anliegen dieser Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Migration, Kulturtransfer, Nationenbildung“ ein. OStR Theo Emmer, der das Fortbildungsreihe mit iniitiert hat und seither mit organisiert, gab einen kurzen Überblick über die Geschichte des Kontaktstudiums und den besonderen Regensburger Weg: Veranstaltungen mit fachwissenschaftlichem historischen Schwerpunkt, abwechselnd mit kulturwissenschaftlichen mit geschichtlichen und sozialkundlichen Inhalten, Blick über den Tellerrand der Fächer hinaus durch Einbeziehung anderer Fachwissenschaften, schulartübergreifende Angebote. Er dankte den Veranstaltern, vor allem dem wissenschaftlichen Leiter Prof. Dr. Volker Depkat (Professor für Amerikanistik an der Universität Regensburg und Historiker).
Für den Eröffnungsvortrag „Migration als historisches Phänomen: Bedingungen, Formen, Folgen“ konnte der Osnabrücker Experte Prof. Dr. Jochen Oltmer gewonnen werden. Er wies darauf hin, dass Migrationsbewegungen nicht nur durch die Binnensituation im Herkunftsland, sondern auch durch Pull-Faktoren im Zielland und Kommunikation mit Emigranten beeinflusst werden. Die hohen Migrationsströme Ende des 19. Jahrhunderts beschleunigten die Europäisierung der Zielstaaten, ebbten aber nach dem Ersten Weltkrieg ab, da die Städte im Binnenraum wuchsen sowie neue Transportmöglichkeiten Pendeln ermöglichten, sich die weltwirtschaftliche Dynamik abschwächte und Staaten in Migrationsbewegungen eingriffen, z. B. durch Grenzkontrollen, Visumspolitik, Einwanderungskontingente und bilaterale Verträge.
Prof. Dr. Ulf Brunnbauer (Lehrstuhl für Geschichte Südost- und Osteuropas) machte in seinem Vortrag „Nationenbildungsprozesse auf dem Balkan“ deutlich, dass es ein Trugschluss sei, Nationen und Nationalstaaten als gegebene historische Tatsache zu sehen.
Vielmehr sind sie Konstrukte der Moderne. Dies wurde am Beispiel des jungen Staates Makedoniens gezeigt. Da es sich viele kulturelle Merkmale mit den Nachbarländern Serbien, Bulgarien und Griechenland teilt, war man beim Nation Building gezwungen, mit Hilfe von nationalen Institutionen einzigartig makedonische Merkmale (z. B. Sprache, Nationalgeschichte) gezielt zu erfinden, die Konstruktion nationaler Identität ist zudem ein fortlaufender Prozess.
Der Vortrag „Migration, Kulturtransfer und nationale Identität in den USA der Gegenwart“ von Prof. Dr. Volker Depkat beschäftigte sich mit der Bedeutung der Immigration für die US-amerikanische Identität und die Selbstdefinition der USA als Einwanderungsland. Ausgehend von der doppelten Realität der Gesellschaft – einerseits als objektives Faktum, andererseits als Konstrukt ihrer Teilnehmer – zeichnete er zunächst die zentralen Phasen der Einwanderungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert nach: „old immigration“ und „new immigration“ sowie allmähliche Ablösung des euro-atlantischen Migrationssystems durch das pazifische und das hemisphärische nach 1945. Parallel gab es Debatten um die sich wandelnde amerikanische Identität, die sich in restriktiver Gesetzgebung wie dem National Origins Act von 1924 niederschlugen. Gleichzeitig wandelte sich die Selbstbeschreibung der USA allmählich vom „Schmelztiegel“ zur „Transnationalen Nation“ – weil dieses Selbstbild auch immer den tatsächlichen Erfahrungen mit kultureller Assimilation angepasst werden musste. Es herrscht ein Wettbewerb zwischen kultureller und verstärkt wertebasierter Assimilation von Einwanderern, der längst nicht beendet ist.
Den Workshop „Bilder als Quelle der Geschichtswissenschaft“ leitete M.A. Susanne Leikam (Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Amerikanistik). Im Gegensatz zur Kunstgeschichte behandeln die Bildwissenschaften, die heute an vielen britischen und amerikanischen Universitäten als eigener Forschungszweig etabliert sind, Bilder umfassender: Sie weiten den Begriff von Gemälden und Fotos aus auf Werbematerial, Filme, Metaphern, Erinnerungen u. v. m. (Differenzierung zwischen „picture“ - durch ein Medium materialisiert und fassbar - und „image“ - mental und immateriell!), kontextualisieren Bilder mehr und beschäftigen sich verstärkt mit Verbreitung und Rezeption des Mediums an sich. Die Bildwissenschaften beleuchten des Weiteren das Verhältnis von Ideologie, Macht, Politik und Wissen eines Bildes, z. B. mit den „unsichtbaren Sichtbarkeiten“ eines Bildes, das bestimmte Elemente bewusst auslässt. Bilder sind, auch wenn etwa ein Foto suggeriert, es sei ein Spiegel der Realität, nur scheinbar real: kulturelle Konstrukte und ideologisch angehaucht, automatisch auch oft wertbehaftet, weswegen das kritische Hinterfragen u. a. von Werbung in der heutigen Gesellschaft erlernt werden muss.
Unter dem Titel „Krankenakten als Quelle der Geschichtswissenschaft“ behandelte Dr. Heike Karge (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Geschichte Südost- und Osteuropas) die Quellenart psychiatrische Akten und spürte dem Umgang der Gesellschaft mit psychischen Erkrankungen nach. Nach einem kurzen Abriss über die Geschichte der Psychiatrie seit dem 18. Jahrhundert stellte die Referentin ihre Feldstudien in einem Sanatorium bei Zagreb vor: Patientenbögen aus dem 19. Jahrhundert ermöglichten Aussagen oder zumindest Annahmen über die einer Diagnose zugrunde liegenden medizinischen und gesellschaftlichen Überzeugungen. Ein weiterer Punkt war die geographische Verteilung von als psychisch krank diagnostizierten Menschen im Vergleich zur Verfügbarkeit von psychiatrischen Einrichtungen – ebenfalls am Beispiel der Balkanregion. Auch wenn die Zahl der Variablen kaum generelle Schlussfolgerungen zulässt, wurde zumindest eines klar: Diagnosen psychischer Krankheiten sind mit Vorsicht zu behandeln, denn sie sind nicht objektiv, sondern immer kulturell bedingt.
Prof. Dr. Volker Depkat stellte „Egodokumente als Quelle der Geschichtswissenschaft“ vor: Darunter werden alle diejenigen historischen Quellen gefasst, in denen sich ein historisches Individuum als „Ich“ selbst thematisiert und zum Gegenstand von Darstellung und Kommunikation erhebt. Dargestellt wurden terminologische und quellensystematische Grundprobleme von Selbstthematisierungen im Spannungsfeld von Ego-Dokumenten und Selbstzeugnissen, Akten und persönlichen Quellen. Der Schwerpunkt lag dann auf der quellengesättigten Erörterung einer kommunikationspragmatisch und narratologisch erweiterten Quellenkritik von Egodokumenten am Beispiel der Autobiographien von Arnold Brecht und Max Seydewitz. Dabei wurde deutlich, dass das Was der biographischen Selbstthematisierung stets in Abhängigkeit vom Wie, Wann und Warum zu analysieren ist.
Das Regensburger Jubiläumskontaktstudium für Geschichts- und Sozialkundelehrer unterstrich einmal mehr die Bedeutung der Vernetzung von Universität und Schule über das Angebot der Lehramtsstudiengänge hinaus. Die nächsten beiden Runden sind schon in Planung.
Theo Emmer
9. Kontaktstudium
8. Kontaktstudium
Fachvortrag zur US-Außenpolitik in Regensburg
7. Kontaktstudium
7. Kontaktstudium für Geschichtslehrer an der Universität Regensburg
Bericht [14 KB]
6. Kontaktstudium
6. Kontaktstudium für Geschichts-/Sozialkundelehrer an der Universität Regensburg
„Geschichtsunterricht und Amerikastudien" [22 KB]
PARSBERG
Nicht wenige kennen nur die Ausfahrt Parsberg auf der A 3 zwischen Regensburg und Nürnberg. So mancher Referendar, den der Zweigschuleinsatz ans Gymnasium Parsberg führte, suchte den Ort erst über Wikipedia.
Parsberg ist eine geschichtsträchtige Stadt. Eine Kurzübersicht (Stand 2019) findet im Internetauftritt der Stadt Parsberg: https://www.parsberg.de/leben-in-parsberg/stadtinformationen/chronologie/
Eckard Fruhmann, pensionierter Leiter des Gymnasiums Parsberg, hat als Hobby-Geschichtsforscher nach akribischen Recherchen 3 Werke vorgelegt, die sich durch einen für jedermann verständlichen Schreibstil auszeichnen, inhaltlich aufs Wesentliche komprimiert sind und sich durchs Format DIN A 5 in praktischer Ringbindung etwa zur Verwendung bei Stadtrundgängen gut eignen.
Die Bücher sind erhältlich
- beim Autor: eckard.fruhmann@gmx.de
- bei der Parsberger Buchhandlung Buchfink: laden@buchfink-parsberg.de
Eckard Fruhmann: Von der Bronzezeit ins 21. Jahrhundert. Eine kurze Geschichte der Stadt Parsberg. 2. Auflage 2020; 115 Seiten.
€ 9,50 (bei Postzustellung € 11,50)
Der Verfasser beschreibt zunächst kurz die Geschichte Parsbergs von der mittleren Bronzezeit um 1600 v. Chr. bis zur Integration der seit etwa 1326 reichsunabhängigen Herrschaft ins Königreich Bayern 1803. Mit vielen Fotos wird die Situation seit dem Jahr 1803 der Gegenwart (Stand 2020) gegenübergestellt. Einzelne Statistiken untermauern die Entwicklung. Der aus dem Landgericht alter Art (von 1792) über das Bezirksamt Parsberg (1880-1939) entstandene Landkreis Parsberg (1939-1972) wird kurz dargestellt, zudem werden die Straßennamen in der Stadt erläutert.
Eckard Fruhmann: 800 Jahre Parsberger Ritter und ihre Nachfahren 1224-2024. Spuren in Bayern und Europa. 1. Auflage 2019; 188 Seiten.
€ 14.- (bei Postzustellung € 16.-)
Wenngleich die bewegte fünfhundertjährige Geschichte der Parsberger Ritter in Bayern mit dem Tod von Johann Wolfgang von Parsberg 1730 endete, fand sie eine großteils unbekannte Fortsetzung in Dänemark, Frankreich und Belgien, ja sogar in den USA. Sie reicht teilweise bis in die Gegenwart. Im vorliegenden Buch werden einerseits bekannte Fakten über die bayerischen, dänischen und lothringischen Parsberger reich bebildert dargestellt, andererseits neue Rechercheergebnisse dazu aufbereitet. Die bisher nicht näher bekannten Familienzweige in Nordfrankreich und Belgien werden vorgestellt.
Eckard Fruhmann: 800 Jahre Parsberger Ritter und ihre Nachfahren 1224-2024. Band 2: Die weiblichen Linien der Parsberger Ritter. 1. Auflage 2021; 176 Seiten.
€ 12.- (bei Postzustellung € 14.-)
Stammbäume des Adels wurden/werden meist nur für männliche Stämme aufgestellt. Die Frauen der Familien erscheinen – wenn man Glück hat – irgendwo als Ehefrauen. Das macht Forschungsarbeiten zu weiblichen Linien meist mühsam. Im vorliegenden Buch werden die Verbindungen von weiblichen Mitgliedern der Familie der Ritter von Parsberg zu 49 Fa-milien untersucht, in die Parsbergerinnen und ihre Nachkommen etwa vom Jahr 1300 bis heute eingeheiratet haben. Die Zielsetzung dabei war festzustellen, ob es außer den bekannten lebenden Nachkommen der 1730 im männlichen (!) Stamm erloschenen Familie der Ritter von Parsberg in Dänemark, den USA und Belgien (siehe Band 1) weitere gibt, die auf weibliche Mitglieder der Familien zurückzuführen sind. Manche Ergebnisse dieser Untersuchung sind überraschend, führen sie nicht nur zu zahllosen noch existierenden Familien, sondern auch in nahezu alle europäischen Königshäuser.
Theo Emmer
ÜBERALL GESCHICHTE!
Memminger, Josef (Hg.): Überall Geschichte! Der Lernort Welterbe - Facetten der Regensburger Geschichtskultur. Regensburg, Pustet-Verlag, 2014. ISBN 978-3-7917-2556-7. 256 S. € 19,95
Dr. Josef Memminger, der als Akademischer Oberrat die Abteilung Geschichtsdidaktik an der Universität Regensburg leitet, gab dem Verfasser dieser Zeilen anlässlich der vorliegenden Neupublikation Gelegenheit zu einem ausführlichen Fachgespräch.
Didaktik dürfe, so Memminger, nicht auf das verengt werden, was in den Schulen vor sich gehe, auch wenn das natürlich ein wesentlicher Aspekt sei. Schließlich sei Geschichtsdidaktik die Lehre vom „Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft“ (Karl Ernst Jeismann) und reiche somit über die Schulen hinaus.
Davon ausgehend habe das dem Buch zugrunde liegende Forschungsprojekt „Lernort Weltkulturerbe“, unterstützt von der Robert-Bosch-Stiftung, unterschiedliche Akteure zusammengebracht: außerschulische öffentliche Initiativen im Umgang mit Geschichte, schulische Lerngruppen, Vertreter der Universität sowie weitere Kooperationspartner. Das Vorhaben verstehe sich als Projekt zur Untersuchung von „Geschichtskultur“, einem Schlüsselbegriff der Geschichtsdidaktik.
In dem von Memminger edierten Buch kommen zunächst Didaktiker zu Wort (Josef Memminger: Regensburger Geschichtskultur, Christian Kuchler: UNESCO-Welterbe als Lernort), anschließend Fachhistoriker (Bernhard Löffler: Regensburg als zeitgeschichtliches Untersuchungsfeld, Susanne Ehrich: Forum Mittelalter der Universität Regensburg, Heinrich C. Konen: Navis Lusoria), dann Repräsentanten eines öffentlichen, primär außerakademischen Vermittlungskontexts von Geschichte (Bernhard Lübbers: Staatliche Bibliothek Regensburg als Regionalbücherei, Silvia Codreanu-Wildenauer: Archäologie im Welterbe, Matthias Ripp / Susanne Hauer: Welterbevermittlung an Kinder, Joachim Friedl: Welterbe digital, Alexander Karrasch: Erlebnisführung „Stadtmaus“, Florian Eiberger: Erinnerungskultur am Beispiel Pylonentor), schließlich werden schulbezogene Projekte vorgestellt (Peter Spatender: Jüdisches Leben in Regensburg, Heike Wolter: KZ-Außenlager Obertraubling, Fredrik Sjöström: Public History als Oral History?, Thomas Biermeier / Stefan Kriesmer: Szenische Stadtführung, Marcus Prechtl / Michael Prechtl: Mallersdorfer Schwestern als schulisches Quellenprojekt).
Verbindende Klammern für die Beiträge sind laut Memmiger z. B. folgende Fragestellungen: Wie geht man in einer Stadtgesellschaft wie Regensburg mit Geschichte um? Welchen spezifischen Blick haben die jeweiligen Institutionen darauf?
Die schulischen Projekte sind laut Memmiger über die angestrebte Vernetzung hinaus deshalb wesentlich, weil dabei Lerngruppen sich von der reinen Rezipientenrolle lösen und zu Akteuren innerhalb der Geschichtskultur werden.
Die Neuerscheinung wendet sich grundsätzlich an alle, die sich für Regensburgs Geschichte und den Umgang mit ihr interessieren, insbesondere an HistorikerInnen und KulturwissenschaftlerInnen, an Studierende, und nicht zuletzt an LehrerInnen, die Projekte mit SchülerInnen in ähnlicher Form - etwa im Rahmen gymnasialer W-/P-Seminare - durchführen wollen, wobei das Exempel Regensburg z. T. übertragbar ist.
Theo Emmer
SAGEN AUS BAYERN. VON HEXEN, HEILIGEN UND HALUNKEN
Fenzl, Paul (Hrsg.): Sagen aus Bayern. Von Hexen, Heiligen und Halunken. München, Volk-Verlag, 2014. ISBN 978-3-86222-142-4. 416 S. € 24,90
Der heute weitgehend vergessene katholische Priester, Pädagoge und Schriftsteller Alexander Schöppner (1820 - 1860) war ein leidenschaftlicher Sammler von Sagen aus dem damaligen Königreich Bayern (Altbayern, Franken, Schwaben) und hat unter dem Pseudonym Johannes Einsiedel 1852/53 im dreibändigen „Sagenbuch der Bayerischen Lande“ 1368 erzählende Texte der Gattungen Sage/Legende/Mischformen erstveröffentlicht.
Das heute gemeinfreie Werk ist derzeit z. B. (ohne Gewähr auf Vollständigkeit)
wie folgt verfügbar:
- als Scan des Originals in Fraktur-Lettern in der digitalen Online- Sammlung bavarica der
Bayerischen Landesbibliothek
- als nicht mehr aktuell verfügbare neuere Druckversionen
- als zeitgemäße Druck-Versionen etwa bei Hofenberg oder Holzinger
- als Volltext-Version online bei Zeno-org.
Daneben sind verschiedene Auswahlausgaben erschienen, die meist heute nicht mehr lieferbar sind. Am verbreitetsten dürfte die von Paul Ernst Rattelmüller herausgegebene mehrbändige, regional geordnete Ausgabe „Sagen aus Bayern“ in der Sammlung Bavarica des Süddeutschen Verlags sein.
Paul Fenzl, pensionierter Lehrer und bisher vor allem als Verfasser von Regensburg-Krimis hervorgetreten, hat nun die schönsten, ausdrucksstärksten und originellsten Schöppner-Texte – möglichst nahe am Original – in einem umfangreichen Band zusammengefasst, regional in Ober-, Niederbayern, Oberpfalz, Pfalz, Schwaben, Unter-, Mittel- und Oberfranken gegliedert und kommentiert per Vorwort, knappen Hintergrundtexten zum historischen Umfeld, Erklärungen von heute nicht mehr oder in ihrer Bedeutung gewandelten Begriffen / Redewendungen und Epilog. Die knappen Anmerkungen zu Handlungsorten, historischen Ereignissen und Personen, gegebenenfalls zu Querverbindungen zu anderen / ähnlichen Sagen sowie zu den Entstehungsgeschichten dienen dem Leser einerseits als Basisinformationen und regen ihn andererseits zum Weiterforschen an, zumal ausgewählte Quellenangaben das Werk abrunden.
Entstanden ist ein buntes Lesebuch über Spuk, Aber- und Wunderglauben, teilweise aber auch mit sozialpolitisch zu interpretierendem Kern, aber auch ein Nachschlagewerk insbesondere durch Sagen- und Ortsregister, die Alternativen zur chronologischen Leseweise aufzeigen können.Die Neuerscheinung ist primär für Deutschlehrer der gymnasialen Unterstufe nützlich, teilweise aber auch als Quellenmaterial für einen kompetenzorientierten Unterricht im historisch-politischen Fächerverbund der Jahrgangsstufen 11 („Ständegesellschaft 15. Jh.“) und 12 („Vom Mythos zum Logos“) geeignet.
Theo Emmer
DIE 50ER JAHRE IN AMBERG UND DER OBERPFALZ
Rambach, Günther: Die 50er Jahre in Amberg und der Oberpfalz: Politik. Militär. Alltagsleben. Eisenhütten, o. O. [Amberg], Selbstverlag, 2013, 296 S., gebunden, ISBN 978-3-00-042884-5, 24.80 € [zu beziehen über das Kontaktformular auf der Homepage des Autors: www.g-rambach.de, sowie bei ausgewählten Buchhändlern]
Drei Jahre nach „Hakenkreuz und Martinskirche. Schicksalsjahre in der Oberpfalz 1933 - 1959“ mit Fokus NS-Zeit (Restexemplare zu beziehen wie oben) hat der Amberger Historiker Günther Rambach eine Fortsetzung vorgelegt. Sie liefert eine umfassende regionale Sozial- und Alltagsgeschichte der 1950er Jahre, wobei er wie schon bei seinem Erstling überregionale Aspekte in kritischer Betrachtung skizziert und den Zeitrahmen sprengt, wo es zum Verständnis notwendig ist, Vorgeschichte und Auswirkungen aufzuzeigen; er arbeitet neueste Forschungsergebnisse ein und ergänzt sie durch autobiografische Erinnerungen. Trotz der vielfältigen Untersuchungsaspekte ist der bunte Bilderbogen auch für einen größeren Kreis außerhalb der Expertenszene, auch für Jugendliche, leicht lesbar, da der Autor den Stil einer wissenschaftlich fundierten „Geschichtserzählung“ favorisiert.
Rambachs Ausgangsthese, dass die 1950er Jahre nicht nur Licht- (Wirtschaftswunder!), sondern auch Schattenseiten hatten, wird im Folgenden bestätigt. Aus den regelmäßigen Monatsberichten der Polizei in Amberg ergibt sich, dass die Bevölkerung, anders als die hohe Beteiligung bei den ersten Bundestagswahlen 1949 vermuten lässt, im Alltag eher politikverdrossen war. Der Koreakrieg ab 1950 erweckte Ängste vor der Ausbreitung des Kommunismus, ja vor einem „Dritten Weltkrieg“ (Hamsterkäufe!), leistete einem scharfer Antikommunismus einerseits und einer Verdrängung der NS-Vergangenheit andererseits Vorschub, wandelte die große Skepsis gegenüber einer deutschen Wiederbewaffnung allgemein und der Stationierung von Bundeswehr im Raum Amberg im Besonderen zur Akzeptanz. Das Verhältnis der Einheimischen zu den US-Besatzungstruppen (später NATO-Partner) aber war bis über die Mitte der 1950er Jahre hinaus angespannt, wie der Autor an mehreren Beispielen anschaulich zeigt; für Buben wie damals ihn war das bis dahin Unbekannte allerdings spannend. Als der Flüchtlingsstrom aus der DDR 1953 auch den Raum Amberg ein wenig tangierte, reagierte man in der Bevölkerung eher panisch in Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse.
Die Überschrift „Eine Kindheit in Amberg“ (S. 73) steht „leitmotivisch“ am Anfang mehrerer zusammengehörender Kapitel. Hier betrachtet Rambach u. a. den Erziehungsstil seiner alleinerziehenden („Heldentod“ des Vaters 1944!) Mutter und seine Prägung durch die katholische Kirche (in die er gewissermaßen als Preis für eine Mischehe seiner Eltern kam) kritisch; ein Foto seines Vaters in SS-Uniform (Laut Band 1 hatte er sich 1933 als 18-jähriger Musikbegeisterter den Spielmannszügen von SA und SS angeschlossen.) und das Schweigen der Angehörigen war ihm entscheidender Impuls: „So begann für mich die Zeit, in der ich versuchte, die Vergangenheit der eigenen Familie zu erforschen“ (S. 96). Nachdenklich stimmt die Geschichte des Gründerzeitschranks, der nach vielen Besitzerwechseln heute das Esszimmer des Autors ziert: Er hatte bis zur „Arisierung“ / Enteignung 1938 einem jüdischen Banker in Amberg gehört …). Wenn der Verfasser seine Volksschulzeit ab September 1949 nacherlebt, skizziert er u. a. die Schulgeschichte Ambergs, betrachtet den damaligen Schulalltag kritisch, berichtet von gesundheitlichen Spätfolgen der „schlechten Zeit“ und dem mangels familiärer Unterstützung nicht erfolgten Übertritt ans Gymnasium.
Im Folgenden problematisiert der Verfasser die „,Vergangenheitsbewältigung´ in den 50er Jahren“ (S. 121): Entnazifizierung, Verschweigen, SRP-Verbot, Gefallenengedenken, eigene Konfrontation mit dem Ausmaß der NS-Gräueltaten. Dass in Amberg (das austauschbar ist) in dieser Zeit eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus eher vermieden wurde und politisches Bewusstsein fehlte, zeigt z. B. die Wahl des leutseligen Josef Filbig zum OB 1952. Dieser hatte sich als überzeugter Nazi gegebenen und war 1933 vom NSDAP-Stadtrat als ehrenamtlicher OB eingesetzt worden. 1948 hatte ihn eine Spruchkammer in die zweithöchste Kategorie eines „Belasteten“ eingestuft, auf dem Berufungs- und Gnadenwege hatte er letztlich eine Einstufung als „Mitläufer“ (!) erreicht, und einer zweiten politischen Karriere stand nichts mehr im Wege. 1952 - 58 war Filbig parteiloser OB, aufgestellt aber hatte ihn eine rechtsextreme Splitterpartei. Rambach konstatiert, dass „sich nichts Negatives sagen lässt“ (S. 153) gegen seine Amtsführung, er weist jedoch nach, dass in Reden „Von einer kritischen Distanz zur Hitlerdiktatur und zu Hitlers verbrecherischem Angriffskrieg … nichts zu spüren“ war (S. 154), und deutet das als „Einblick in das politische Denken der 50er Jahre“ (S. 153).
Die folgenden Kapitel spiegeln das „Leben in den 50er Jahren“ (S. 156) als Politisches ausklammernde Form der Vergangenheitsbewältigung durch Konsum (Nachholbedarf!) nach den Motto „Es geht aufwärts!“ (S. 179): „Fresswelle“, Mode, Wohnungseinrichtung, Kurzreisen, Geschäfte (mit lokalen Beispielen), Fußballweltmeisterschaft 1954, Feiern, Kühlschrank, UKW, Beginn des Fernsehens, Tourenrad, Photoapparat, Versandhäuser, Kino, Theater, „Vom Kleinstwagen zum richtigen Auto“ (S. 196) …, wobei der Autor nach Möglichkeit seine damalige Kindersicht nachzeichnet, aber auch kritisch reflektiert.
1957 schloss Rambach die Volksschule ab und trat - damals die einzige Möglichkeit nach acht Jahren (Abitur auf dem zweiten Bildungsweg - Studium - Gymnasiallehrer - das war ihm erst viel später möglich!) - eine dreieinhalbjährige Lehre als Starkstromelektriker in der Luitpoldhütte an, einem der zwei Amberger Großbetriebe, die im Zuge des Wirtschaftswunders boomte. An einem Tag in der Woche war Berufsschule, ebenfalls in Amberg. Trotz mancher Härten gefiel ihm der abwechslungsreiche Arbeitsalltag, der ihm auch einen Einblick in den Eisenbergbau brachte. Der Verfasser liefert an dieser Stelle wertvolle Beiträge zur Industriegeschichte Amberg sowie in einer Art Exkurs der oberpfälzischen Eisenhütten Maxhütte, Bodenwöhr, Weiherhammer und des Pumpspeicher-Kraftwerks bei Trausnitz. Als Lehrling verbesserte sich sein Lebensstandard: erstes eigenes Zimmer in einer neuen, größeren Wohnung der Kleinstfamilie, Moped ... 1961 legte er die Facharbeiterprüfung mit sehr guten Noten ab.
Rambach schließt sein Werk mit der Ende der 1950er von Adenauer grundgelegten deutsch-französischen Verständigung - von der Bevölkerung mehrheitlich begrüßt - und stellt einen persönlichen Bezug zur späteren Städtepartnerschaft Amberg - Périgueux her. Ob sich an dieser Stelle das Vorhaben eines (weiteren) Folgebandes zeigt?
Das Buch basiert auf jahrelanger akribischer Recherchearbeit in mehreren Archiven, alten Zeitungen/Zeitschriften und der wissenschaftlichen Literatur, mehr als 500 Feldpostbriefe wurden ausgewertet. 347 Anmerkungen und ein umfangreiches Literaturverzeichnis belegen das. Besondere Erwähnung verdienen die zahlreichen, qualitativ hochwertigen Abbildungen, die vielfach dem Privatarchiv des Verfassers entstammen – eine reiche Fundgrube bisher unveröffentlichten Materials für den Geschichte/Sozialkunde-Unterricht vor allem in der 11. Jahrgangsstufe Gymnasium.
Theo Emmer
Kleine Geschichte des israel.-palästin. Konflikts
Buchtipp für den Geschichtslehrer
Böhme, Jörn / Sterzing, Christian: Kleine Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts. Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 5. aktualisierte und erweiterte Auflage 2012 (= Länderanalysen), 144 S., ISBN 978-3-89974807-9, 12.80 €
Eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts scheint nur möglich durch Schaffung eines Palästinenserstaates neben dem existierenden Israel, was die internationale Staatengemeinschaft seit Jahren fordert und wofür sich auch eine Mehrheit unter den Israelis wie Palästinensern ausspricht. Doch es ist sehr unwahrscheinlich, dass es in absehbarer Zeit zu einem dauerhaften Frieden kommen kann. Denn leider sind beide Gesellschaften tief gespalten (wie sehr das auch für die israelische Gesellschaft gilt, zeigen die Ergebnisse der aktuellen Parlamentswahlen - die Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas in den Palästinensergebieten sind offenkundig) und die „lauten“ extremen Positionen haben es leichter, sich Gehör zu verschaffen als die „leisen“ Befürworter eines Dialogs. Nach Jahren einer blutigen Gewaltspirale aus israelischen Militäraktionen und palästinensischen Terroranschlägen - oder umgekehrt - wurde zwar zeitweilig wieder verhandelt, doch letztlich ohne Erfolg. Zentrale Streitpunkte wie die israelischen Siedlungen auf Palästinensergebiet, der Status Jerusalems oder die Flüchtlingsfrage rücken eine Einigung in weite Ferne. Hinzu kommt der Anachronismus einer ethnischen Trennungspolitik in Zeiten historischer Errungenschaften wie EU und irreversibler Entwicklungen wie Globalisierung.
Die Autoren Jörn Böhme und Christian Sterzing, die beide dem Deutsch-Israelischen Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten (diAk) angehören, der in ihrer Einführung als Herausgeber des Büchleins bezeichnet wird, nehmen in dem Konflikt folgende Position ein: „Im Konflikt um Israel/Palästina steht nicht Recht gegen Unrecht, sondern Anspruch gegen Anspruch. Wer Anspruch auf ein Land erhebt, kann nicht den Anspruch eines anderen anerkennen, ohne die Legitimität seines eigenen Anspruchs zu relativieren … Deshalb sieht der diAK in dem mühsamen Versuch, die beiden einander widersprechenden Ansprüche miteinander zu vermitteln, die einzige Alternative zu einem endlosen Kriegszustand. Allenfalls durch einen solchen Vermittlungsversuch könnte das subjektive Empfinden, Rechte aufzugeben bzw. Unrecht zu erfahren, in so erträglichen Grenzen gehalten werden, dass gewaltförmige Versuche, das Unrecht zu korrigieren, aufgegeben werden“ (S. 8).
Vorliegendes Buch bietet einen kurzen und leicht lesbaren chronologischen Überblick über die komplexe Geschichte des Konflikts, über die Kernpunkte der Auseinandersetzung, wichtige Wendepunkte und Bemühungen um eine Regelung. Quellenauszüge, Karten, eine Chronologie und Hinweise auf weiterführende Literatur runden die Darstellung ab. Besonders geeignet ist der Band als erste Orientierung in diesem sehr komplizierten Konflikt, aber auch zur Erstellung von Schülerreferaten/-präsentationen im Geschichtsunterricht der 12. Jahrgangsstufe Gymnasium oder zur Wiederholung für angehende Abiturienten. Er gehört deshalb in jede Schulbibliothek.
In eine wohl in absehbarer Zeit zu erwartenden wiederum aktualisierten Neuauflage wären die graphische Verbesserung einzelner Karten (S. 28: Schattierung für „Internationale Kontrolle“ nicht abgehoben, S. 95: Schattierungen und Linien für „Trennungsmauer“ nicht unterscheidbar) sowie ein vollständiger bibliographischer Nachweis zumindest der abgedruckten Quellen, evtl. auch mancher Fakten, wünschenswert.
Theo Emmer
Historische Orte im Geschichtsunterricht
Buchtipp für den Geschichtslehrer
Kuchler, Christian: Historische Orte im Geschichtsunterricht. Mit Praxisbeiträgen von Christan Bunnenberg, Martin Clauss, Andreas Hidasi und Friederike Hübner, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2012 (= Methoden historischen Lernens), 160 S., ISBN 978-3-89974779-9, 14.80 €
Die Reihe „Methoden historischen Lernens“ des Wochenschau-Verlags stellt in loser Folge jeweils eine Methode oder ein Medium vor, charakterisiert diese(s), zeigt den Stand der methodisch-didaktischen Diskussion auf und bietet Beispiele für die Unterrichtspraxis an. Sie versteht sich laut Verlag als „moderne[…] Leitfäden für den Geschichtsunterricht, aber auch für die Museums-, Gedenkstätten- und Archivpädagogik“.
Für vorliegende Neuerscheinung zeichnet ein ausgewiesener Experte verantwortlich: Christian Kuchler ist ausgebildeter Gymnasiallehrer, unterrichtete an bayerischen Gymnasien, war Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Didaktik der Geschichte in München und Regensburg und hat jetzt eine Professur für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der RWTH Aachen inne. Über historische Orte hielt er unter anderem beim 11. Regensburger Kontaktstudium für Geschichtslehrer im November 2012 als Gastreferent eine beeindruckende Präsentation.
Historische Orte können im Geschichtsunterricht als vielschichtige Quellen genutzt werden, die SchülerInnen einen multisensorischen Zugang zum Fach eröffnen. Der Band stellt dar, wie nachhaltig Lernende profitieren, wenn Exkursionen zu Schauplätzen von geschichtlichen Ereignissen oder zu Orten, an denen Strukturen der Vergangenheit oder Veränderungen im Verlauf der Zeit sichtbar werden, durchgeführt werden. Geschichtsunterricht am historischen Ort bereichert also das historische Lernen. Neben einer fundierten theoretischen Einbettung des Lernens an historischen Orten stellt der Band ausführlich Methoden vor, die im schulischen Rahmen ertragreiches Arbeiten ermöglichen. Im Praxisteil belegen ausgewählte Beispiele aus allen historischen Epochen, wie Lernen an historischen Orten gelingen kann. Der praxisbezogene Band ergänzt die geschichtsdidaktischen Literatur zum außerschulischen Lernen um den wesentlichen Aspekt des multisensorischen Lernens und erschließt den „spatial turn“ der Geisteswissenschaften für den Geschichtsunterricht.
Im Praxisteil werden folgende Beispiele vorgestellt: Limes, antike Befestigungsanlagen in Regensburg, mittelalterliche Stadttore, mittelalterliche Königsgräber im Dom zu Speyer, katholische und protestantische Kirchen im Vergleich, süddeutsche Klosterbibliotheken und ihre Bedeutung für die Aufklärung, Garnisonskirche in Potsdam als zerstörter Lernort, Königsplatz in München als Ausdruck der Historizität, Schlachtfeld von Wörth im Deutsch-Französischen Krieg, Kirche St, Fronleichnam in Aachen als Beispiel für Klassische Moderne, Renaissancefassade am Ort des Massenmords in Schloss Hartheim, zerbombte Städte – Neuanfang oder Wiederaufbau, Olympiastadion München als architektonisches Symbol der Demokratie. Die Praxisbeispiele sind meist reich bebildert, alle enden mit einem knappen „Infokasten“ zu historischem Ort, Methode, Zielgruppe und Material.
Auf folgende Übersichten sei darüber hinaus verwiesen: Was sind historische Orte? (S. 19, 72), Organisation einer Erkundung historischer Orte (S. 62 f.), Grabstätten mittelalterlicher deutscher Könige (S. 87).
Die umfangreichen Anmerkungen zu jedem Hauptkapitel sowie ein langes Literatur-, Quellen- und Medienverzeichnis liefern dem interessierten Leser weiterführende Materialien.
Die Neuerscheinung ist (nicht nur) für GeschichtskollegInnen von großem Nutzen und gehört zumindest in den Handapparat jeder Fachschaft Geschichte.
Theo Emmer
Von der Quelle zum Tafelbild
Buchtipp für den Geschichts- und Sozialkundelehrer
Kohl, Herbert / Wunderer, Hartmann: Von der Quelle zum Tafelbild. Tafelarbeit im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag (= Reihe „Geschichte unterrichten“), Buch je 112 S., Buch + CD-Rom je 36,80 €
Bd. I (2008): Von der Russischen Revolution bis zum 11. September 2001;
ISBN Buch + CD-Rom 978-3-89974403-3
Bd. II (22012): Von der Frühen Neuzeit bis zum Ersten Weltkrieg;
ISBN Buch + CD-Rom 978-3-89974462-0
Bd. III (2011): Vom Neandertaler bis zum Spätmittelalter,
ISBN Buch + CD-Rom 978-3-89974589-4
Mag der Untertitel „Tafelarbeit im Geschichtsunterricht“ auch unmodern klingen, so ist doch nicht zu bestreiten, dass die Tafel auch im Zeitalter neuer Medien ein bewährtes Lehr- und Lerninstrument bleibt, im Geschichtsunterricht um komplexe Sachverhalte mit den SchülerInnen zu erarbeiten und für diese als Ergebnissicherung zu visualisieren.
Für jeden der vorliegenden 3 Bände „Von der Quelle zum Tafelbild“ wurden 50 Quellen (entweder eine in der Länge einer DIN-A4-Seite oder mehrere kürzere; in der Regel Primär-, gelegentlich auch Sekundärquellen, Statistiken, Grafiken) ausgewählt, die einen problemorientierten Zugang zu Schlüsselfragen der Geschichte und kompetenzorientiertes Arbeiten erlauben. Dabei wurden - lehrwerksunabhängig - Themen berücksichtigt, die im Geschichtsunterricht einen besonderen Stellenwert einnehmen, sie beschränken sich aber nicht auf die bayerischen Gymnasiallehrpläne. Zu jeder Textseite erscheint ein entsprechendes Tafelbild, wobei Kongruenz angestrebt wurde, aber von der Sache her nicht immer realisierbar war.
Ausgehend von den Quellen und ihrer Erschließung kann man mit den SchülerInnen im Unterricht Tafelskizzen erarbeiten, für die die angebotenen als Vorschläge dienen. Die abgedruckten Schaubilder können aber auch direkt eingesetzt, z. B. (im Rahmen des Zulässigen) kopiert, von der CD-Rom per Beamer projiziert oder für einen computergestützten Unterricht verwendet werden. Schließlich lassen sich die Quellen - mit Arbeitsaufträgen versehen - in einem schülerzentrierten Unterricht, für zu vertretende Stunden, als Hausaufgaben oder für Prüfungsaufgaben nutzen, die zugehörigen Tafelbilder verstehen sich dann in der Regel als Lösungsskizzen.
Didaktische Kurzkommentare zu den Quellen und Tafelbildern finden sich in den Bänden II und III.
Die Schaubilder stellen eine gute, aufs Wesentlich komprimierte, visuell eingängige Zusammenfassung bisweilen komplexer historischer Ereignisse dar. Hier und da ließe sich diskutieren über einen Ergänzungs- bzw. Modifizierungsbedarf, leider ist das Edieren der pdf-Dateien auf der CD-Rom nur von versierten „User“ zu bewerkstelligen.
Die Autoren Herbert Kohl (Heilbronn) und Dr. Hartmann Wunderer (Wiesbaden) sind erfahrene Gymnasiallehrer und Lehrerausbilder. Ihre Publikation ist eine große Hilfe für den Unterrichtsalltag, die viel Zeit bei der Vorbereitung und bei der Erstellung von Aufgaben spart. Sie eignet sie sich etwa zum Einsatz im gymnasialen Geschichtsunterricht vor allem der Jahrgangsstufen 6 mit 10, Band III teilweise auch im Geschichts-/Sozialkundeunterricht in 11/12. Leider fehlt in Band I die vom Titel her zu erwartende Einheit zum 11. September 2001. Zudem wäre ein Folgeband unter anderem mit den Themen Nahostkonflikt und USA für den Geschichtsunterricht in der Q 12 wünschenswert.
Theo Emmer
Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland
Buchtipp für den Geschichts- und Sozialkundelehrer
Pfetsch, Frank R.: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von Adenauer zu Merkel. Eine Einführung. Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 22012 (= uni studien politik Bd. 44). ISBN 978-3-89974840-6. 288 S. € 12,80
Die Bundesrepublik Deutschland als größte Demokratie im Herzen Europas ist aufgrund ihrer gewachsenen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung, ihres politischen und zunehmend auch militärischen Engagements – auch außerhalb Europas – im Hinblick auf ihre Außenpolitik von großem Interesse. Vorliegender, für 2011 angekündigter, nunmehr in zweiter, aktualisierter Auflage verfügbarer Band bietet einen fundierten Überblick über die Entstehung und Entwicklung der bundesdeutschen Außenpolitik. Über die historische Einordnung der deutschen Außenpolitik hinaus liefert er struktur- und akteursbezogene Analysen, die die geopolitischen Orientierungen und Strategien der handelnden Politiker anschaulich verknüpfen und der engen Verflechtung der deutschen mit der europäischen Außenpolitik besondere Aufmerksamkeit schenken. Interpretation und Umsetzung der von der jeweiligen historischen Lage bestimmten nationalen Interessen in politisches Handeln sind dokumentiert in einer über sechzigjährigen Geschichte, deren Verlauf in verschiedenen historischen Phasen beschrieben und analysiert wird.
Der Verfasser, Prof. (em.) Dr. Frank R. Pfetsch, lehrte Politikwissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und ist vor allem auf den Gebieten Politische Theorie, Regierungslehre, Konflikt- und Verhandlungsforschung, Internationale Beziehungen und Außenpolitik hervorgetreten.
Seine Veröffentlichung gliedert sich folgendermaßen: Im einleitenden Kapitel „Die deutsche Geschichte im Fadenkreuz geopolitischer Orientierungen“ arbeitet er neun auffallende Gegebenheiten heraus, die die Nachkriegssituation 1945 von denen der Reichsgründung 1870/71 und der Weimarer Republik 1918 unterscheiden, stellt „Die Determinanten und Wegmarken der deutschen Außenpolitik“ vor und beschäftigt sich mit „Theoretische[n] Ansätzen“ sowie „Methodische[n] Fragen“. Im folgenden Kapitel geht es um „Grundbedingungen des internationalen Systems. Die ehemaligen Ost-West- und Nord-Süd-Achse, Öffnung vom Atlantik zum Pazifik“. Das Hauptkapitel ist überschrieben mit „Wegmarken und Perioden der außenpolitischen Entwicklung der Bundesrepublik“ und untergliedert in folgende Phasen: „Die Formierungsphase des Weststaats (1945 – 49“, „Kalter Krieg und Souveränität. Die Westintegration als erste Basisentscheidung der bundesdeutschen Außenpolitik unter Konrad Adenauer (1949 – 1957/58)“, „Festhalten am Kurs im Zeichen des Kalten Krieges unter Konrad Adenauer (1957/58 – 1963)“, „Alternativen in der West- und zur Ostpolitik im Zeichen der Entspannung der sechziger Jahre unter Erhard/Schröder und Kiesinger/Brandt (1963 – 1969)“, „Die ‚Neue Ostpolitik’ als zweite Basisentscheidung der bundesdeutschen Außenpolitik unter Brandt/Scheel (1969 – 1974“, „Kurs gegen die Konfrontation unter Schmidt und Kohl (1975 – 1988/89)“, „Die Politik der Vereinigung als dritte Wegmarke der deutschen Außenpolitik unter Kohl/Genscher (1989 – 90)“, „Die deutsche Außenpolitik nach der Vereinigung unter Kohl/Genscher bzw. Kohl/Kinkel (1990 – 1998)“, „Die Außenpolitik der rot-grünen Koalition unter Schröder/Fischer und Merkel/Steinmeier im Zeichen der vierten Wegmarke der deutschen Außenpolitik (1998 – 2010)“, „Die Außenpolitik der Zweiten Großen Koalition unter Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier sowie Merkel/Westerwelle (2005 – 2010).
Wenn auch die Überschriften in einer Neuauflage einheitlicher (z. B. Anführung von Vornamen) und in einem Fall auch korrekter (vor Merkel/Steinmeier wäre „der Großen Koalition“ einzufügen) gefasst werden sollten, ist die Fokussierung auf die 4 Wegmarken deutsche Teilung /Westintegration der BRD – Ostpolitik – Wiedervereinigung – Außenpolitik des wiedervereinigten Deutschland: Europäisierung / globale Herausforderungen treffend. In seinem Schlusskapitel „Sechzig Jahre bundesdeutsche Außenpolitik“ arbeitet Frank Pfetsch Kontinuitäten und Diskontinuitäten der bundesdeutschen Außenpolitik heraus und untersucht die außenpolitische Rolle Deutschlands. Im Anhang finden sich Verzeichnisse der verwendeten Abkürzungen, Personennamen und Stichwörter, die Anmerkungen sowie eine Auflistung der in den Text eingestreuten Tabellen, Graphiken, Synopsen und Übersichten.
Die Reihe „uni studien politik“ des Wochenschau-Verlags will primär Studierenden einen Einstieg in ein politikwissenschaftliches Themenfeld liefern. Darüber hinaus eignet sich vorliegender Band hervorragend für den gymnasialen Geschichtsunterricht ab Klasse 9 und den Sozialkundeunterricht vor allem in der 12. Jahrgangsstufe. Die einzelnen Kapitel und Unterabschnitte sind prägnant gefasst, die Tabellen, Graphiken, Synopsen und Übersichten liefern Anregungen für Tafelbilder oder Hefteinträge, teilweise auch für kompetenzorientierte Prüfungsaufgaben.
Theo Emmer
Geschichte in Karikaturen
Buchtipp für den Geschichts- und Sozialkundelehrer
Schnakenberg, Ulrich: Geschichte in Karikaturen. Karikaturen als Quelle. 1945 bis heute, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2011, 112 S., ISBN 978-3-89974651-8, 24.80 € (= Reihe „Geschichte unterrichten“ / „Kommentierte Arbeitsblätter“)
Die Analyse von Karikaturen hat nicht erst im Zuge der aktuellen kompetenzorientierten bayerischen Gymnasiallehrpläne einen festen Platz im Geschichts- und Sozialkundeunterricht. Vorliegende Neuerscheinung ist eine große Hilfe für den Unterrichtsalltag: zur zeitsparenden Vorbereitung, beim Einsatz im Rahmen arbeitsteiligen oder Stationen-Lernens sowie bei der Erstellung von Arbeitsaufträgen und Prüfungsaufgaben.
Sie bietet zunächst die beiden Kopiervorlagen „Arbeitsschritte der Karikaturanalyse“ und „Analyseschema“ an, die der Lehrer unverändert für die Schüler vervielfältigen oder bei Bedarf modifizieren kann, und gibt Anregungen für beschreibende/interpretierende sowie handlungsorientierte Aufgabenstellungen. Die ausgewählte Karikaturen sind in sehr guter Qualität im DIN-A4-Format abgedruckt und wurden gemäß Analyseschema bearbeitet, sie betreffen die Themen Ende des Zweiten Weltkriegs und Beginn des Ost-West-Konflikts, Kalter Krieg und Gründung zweier deutscher Staaten, Détente und Wiederaufflackern des Kalten Krieges, Epochenjahr 1989, deutsche Wiedervereinigung, globale Entwicklungen bis heute, deutsche Debatten (Wiederbewaffnung, Freundschaftsvertrag mit Frankreich, Ostverträge, Vergangenheitsbewältigung, 1945: Niederlage oder Befreiung?), Europäische Integration. Somit eignen sie sich zum Einsatz im Geschichtsunterricht vor allem der Jahrgangsstufen 9 und 10, teilweise auch 11 – sowie im Sozialkundeunterricht in der Q 12. Ein Folgeband unter anderem mit den Themen Nahostkonflikt und USA wäre für den Geschichtsunterricht in der Q 12 wünschenswert.
Die 50 vorgestellten, vielfach ausländischen und überwiegend eher unbekannten Karikaturen liefern dem Lehrer einen reichen Fundus unterschiedlicher Arten: deskriptiver (neutral-objektiver) und kommentierender / analysierender (bissig-subjektiver bis agitatorisch-propagandistischer), kontrastiver Parallelzeichnungen, Epochen- oder Prozesskarikaturen. Das Literaturverzeichnis bringt weiterführende Hinweise.
Der Autor, Dr. Ulrich Schnakenberg, unterrichtet an einem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen Englisch, Politik und Geschichte und ist Fachmann u. a. für bilingualen Unterricht und Karikaturenforschung.
Theo Emmer
Die Weimarer Republik
Buchtipps für den Geschichts- und Sozialkundelehrer
Trützschler, Jan [Hrsg.]: Die Weimarer Republik. Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2011 (= Fundus - Quellen für den Geschichtsunterricht), 272 S., ISBN 978-3-89974582-5, 19.80 €
und
Steffens, Gerd / Lange, Thomas [Hrsg.]: Der Nationalsozialismus. Band 2: Volksgemeinschaft, Holocaust und Vernichtungskrieg 1939 - 1945, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2011 (= Fundus - Quellen für den Geschichtsunterricht), 368 S., ISBN 978-3-89974464-4, 24.80 €
Mit zwei neuen Bänden hat der Wochenschau-Verlag seine Reihe „Fundus - Quellen für den Geschichtsunterricht“ erweitert. Sie enthalten Schrift- und Bildquellen unterschiedlichster Art aus den Bereichen Alltag, Soziales, Geschlechter, Kultur, Wirtschaft, Technik, Politik, Umwelt, Mentalität usw. und stellen darüber hinaus Auszüge aus geschichtswissenschaftlichen Kontoversen zu bestimmten Themen sowie Zeugnisse aus der außerschulischen Geschichtskultur unserer Zeit bereit. Dem Prinzip der Multiperspektivität wird durchgängig Rechnung getragen.
Jan Trützschler aus Halle/Saale, der Geschichte, Politik, Pädagogik und Psychologie studiert hat, hat eine umfassende Quellensammlung zur Weimarer Republik zusammengestellt. Ihre Grobgliederung richtete sich nach den drei Phasen der Weimarer Republik: Entstehung und Selbstbehauptung 1918/19 – 1923, relative Stabilisierung 1924 – 1929, Auflösung und Untergang 1930 – 1933. Innerhalb der drei Kapitel wird die Chronologie aufgelöst, wo es das Anliegen, die innere Zerrissenheit der Weimarer Republik multiperspektivisch nachzuzeichnen, erfordert. So erhält die Quellensammlung zudem den Charakter eines historischen Lesebuches, das eine Erschließung seines Gegenstandes auch ohne tiefgehendes Vorwissen erlaubt. Ein Literatur- und Quellenverzeichnis beendet das Werk.
Prof. Dr. Gerd Steffens, der zuletzt an der Universität Kassel Politische Bildung und ihre Didaktik gelehrt hat, und Dr. Thomas Lange, der als Gymnasiallehrer und Archivpädagoge gewirkt hat, knüpfen mit der vorliegenden Quellensammlung zur NS-Zeit von 1939 – 1945 an den erfolgreichen ersten Band an: Lange, Thomas / Steffens, Gerd [Hrsg.]: Der Nationalsozialismus. Band 1: Staatsterror und Volksgemeinschaft 1933 - 1939, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2009 (= Fundus Quellen für den Geschichtsunterricht), 238 S., ISBN 978-3-89974399-9, 19.80 € . Die Neuerscheinung ist schlüssig in folgende thematische Kapitel gegliedert: Der Weg in den Krieg: Das nationalsozialistische Deutschland im internationalen Kontext 1933 – 1939; Dimensionen des Krieges – der Weltkrieg als Weltherrschaftskrieg; Der Krieg im Osten als Vernichtungskrieg; Der Holocaust – Deportation und Vernichtung der europäischen Juden; Hitlers Volksstaat im Krieg; Widerstand, Resistance, Partisanen – hochriskante Kämpfe von unten; Vertreibungen: Von der „Behandlung der Fremdvölkischen im Osten“ zur Flucht und Vertreibung der Deutschen; Befreiung, Niederlage, Zusammenbruch – materielle und mentale Bilanzen. Laut Verlagsmitteilung wurden die Quellen, darunter zahlreiche bisher ganz oder in Teilen unveröffentlichte (!!!), gezielt für den Geschichtsunterricht zusammengestellt. Der Band bietet insbesondere Materialien, in denen Wahrnehmungen und Handlungen der betroffenen Menschen selbst zum Ausdruck kommen, etwa zahlreiche Dokumente von Zeitzeugen, zumeist Opfern des NS-Terrors.
Beide neu erschienenen Quellensammlungen bieten einen multiperspektivischen, differenzierten und authentischen Zugang zur deutschen Vergangenheit und sind hervorragend für einen Einsatz im Geschichtsunterricht in der Mittelstufe und der neuen Oberstufe sowie im Sozialkundeunterricht vor allem der 11. Jahrgangsstufe geeignet, insbesondere liefern sie Materialien zum Einüben der Kompetenzen Quelleninterpretation/ -vergleich und der Hinführung zur historischen Urteilsbildung, natürlich stellen sie auch einen Fundus für neue Prüfungsaufgaben bereit.
Theo Emmer
Fronterfahrung und Heimatalltag im 1. Weltkrieg
Buchtipp für den Geschichts- und Sozialkundelehrer
Krüger, Klemens: Fronterfahrung und Heimatalltag im Ersten Weltkrieg. Feldpost als Quelle, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2010, 48 S., ISBN 978-3-89974558-0, 19.80 € (= Reihe „Geschichte unterrichten“ / „Geplante und erprobte Stunden“)
Mit der Reihe „Geplante und erprobte Stunden“ wollen die Herausgeber Hans-Jürgen Pandel und Gerhard Schneider sowie der Verlag Geschichtslehrern die Möglichkeit geben, intensiv geplante und im Schulalltag bewährte Unterrichtseinheiten zu veröffentlichen, soweit sie sich an den Lehrplänen orientieren und bundesweit einsetzbar sind (weitere wesentliche Kriterien sind dem Vorwort des vorliegenden Bandes zu entnehmen).
Clemens Krüger, Berliner Gymnasiallehrer für Geschichte, Politikwissenschaft und Französisch, zeigt mit seiner Unterrichtseinheit „Fronterfahrung und Heimatalltag im Ersten Weltkrieg. Feldpost als Quelle“, wie die Schulung narrativer Kompetenz im Geschichtsunterricht mit Hilfe der Quellengattung Feldpost gelingen kann. Multiperspektivität und Handlungsorientierung werden als didaktische Zugangsweisen systematisch methodisch umgesetzt.
Vorliegender Band liefert in seinem einführenden Teil eine Sachanalyse, didaktische und methodische Hinweise, Informationen zur Quellengattung Feldpost, eine Planungsübersicht zur Unterrichtseinheit mit Leitfragen sowie der zugehörigen Synopse.
Die 21 einseitigen Arbeitsblätter im DIN-A4-Format sind von sehr guter, kopierfähiger Qualität. Der Autor hat sie abwechslungsreich komponiert aus kurzen Textquellen (vorwiegend natürlich Auszügen aus Feldpostbriefen) sowie Bildmaterial (darunter vielen Kriegspostkarten) und sie enthalten jeweils Arbeitsaufträge, hinzu kommen Auswertungsraster. Die Unterrichtseinheit ist auf 11 Stunden angelegt mit folgenden Einzelthemen: Kriegsbeginn 1914 – Begeisterung überall?, Feldpost – Bedeutung und Zensur, Grabenkrieg, Soldaten – „Helden“ oder „Kanonenfutter“?, Wahrnehmung des „Feindes“ (2 Stunden), Ängste und Sorgen der Familien, Frauen in der Kriegswirtschaft, Kriegsküche, Erster Weltkrieg – Abenteuer oder Katastrophe?, Lernüberprüfung. Selbstverständlich kommen Methodenwechsel und Schulung unterschiedlicher Kompetenzen nicht zu kurz. Exemplarisch sei ein Foto erwähnt, das Passanten im Berlin zeigt, die 1914 die Erklärung des Kriegszustandes lesen; in dieses sind Sprechblasen eingearbeitet, in die die Schüler die Reaktionen einzelner Personen schreiben sollen. Die zusammenfassende Lernüberprüfung beinhaltet 7 Aufgaben, wobei die verschiedenen Anforderungsbereiche berücksichtigt werden.
Das Büchlein schließt mit Lösungsvorschlägen zu den Arbeitsblättern und den notwendigen Quellenangaben, worunter sich weiterführende Hinweise finden.
Nach den aktuellen bayerischen Gymnasiallehrplänen eignet sich die Unterrichtsreihe für den Einsatz im Geschichtsunterricht der Jahrgangsstufe 8, evtl. unter Einbeziehung einer exemplarischen Vertiefung. Im WSG-S bietet sich eine Kooperation mit dem Fach Sozialkunde an: Themenbereich „Toleranz … als Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben“ (darunter geschichtliches Beispiel). Fächerübergreifende Aspekte lassen sich mit dem Lektüreunterricht im Fach Deutsch herstellen.
Theo Emmer
Der grantige Clown
Buchtipp
Memminger, Josef: Karl Valentin. Der grantige Clown, Regensburg, Verlag Friedrich Pustet, 2011 (= „kleine bayerische biografien“, Hg. Thomas Götz). ISBN 978-3-7917-2309-9. 160 S. € 12,90
Josef Memminger, ehemaliger Deutsch- und Geschichtslehrer am Gymnasium Parsberg, jetzt Akademischer Oberrat für Didaktik der Geschichte an der Universität Regensburg, beschäftigt sich in seiner neuen Publikation mit Karl Valentin, der nach einem erfolglosen Start als Musical-Clown zum umjubelten Münchner Volkssänger und Komiker avancierte. Mit seiner kongenialen Partnerin Liesl Karlstadt brillierte er in noch heute gespielten Klassikern wie dem „Firmling“. Seine Bedeutung als Filmpionier, Dramatiker und Objektkünstler wurde in der Rezeption lange unterschätzt. Privat war Karl Valentin ein Sonderling: Witzbold, Hypochonder, Misanthrop. Als so manches hochfliegende Projekt misslang und während der NS-Zeit die Engagements weniger wurden, verbitterte er immer mehr. Josef Memminger beleuchtet in seiner Kurzbiografie Leben und Werk vor dem Hintergrund dieses Wandels.
Dabei kam es ihm vor allem auf drei Dinge an (so der Buchautor auf Anfrage des Rezensenten): Erstens will er in Form eines knappen Überblicks sowohl Einblicke in das Werk Valentins (deswegen wird immer wieder – auch länger – aus Texten zitiert) als auch in sein Leben geben. Zweitens ist dem Verfasser die Einordnung in den historischen Kontext wichtig (darum finden sich in grau hinterlegten Kästen Hintergrundinformationen: unter der Rubrik „München im Wandel“ längere Blöcke über die Au, in der Valentin aufgewachsen ist, über München als Kunststadt, über die 1918/19er-Revolution und den Beginn der Weimarer Republik, über den sog. Hitlerputsch, über das „braune“ München, über den Umbruch vom „Dritten Reich“ zur Nachkriegszeit; ferner die Rubrik „Zeitgenossen“). Drittens legt Memminger eine ausgewogene Darstellung vor: würdigt Valentin einerseits in seiner Bedeutung vor allem als Filmschaffender und Medienkünstler, vermeidet es aber, ihn - wie einige andere Publikationen - auf einen Sockel zu stellen.
So überschreibt Memminger im Abschnitt „Karl Valentin während der Zeit des Nationalsozialismus“ ein Kapitel mit: „Bestimmt kein Nazi – aber auch kein Held“ (S. 117). Obwohl sich der Autor nicht auf Valentins Verhältnis zur Politik konzentriert, analysiert er als Historiker entsprechende Quellen kritisch. Auch wenn Valentin der NS-Rassenideologie skeptisch gegenüberstand (S. 117), fielen, wenn er sich künstlerisch unterbewertet und unterbezahlt fühlte, - anhand von zwei Beschwerdebriefen belegbar - heikle Passagen, die suggerierten, jüdische Kreise würden privilegiert (S. 117 f.). Andererseits setzte sich Valentin bei Heinrich Himmler, der wie viele Nazi-Größen zu seinen „Fans“ gehörte, für die Freilassung seines Schwiegersohnes aus der „Schutzhaft“ in Dachau wegen „staatsfeindlicher“ Kritik ein – nicht ohne Erfolg. Memminger folgert: „Demnach konnte der ängstliche Karl Valentin durchaus einmal über seinen Schatten springen und mutiges Verhalten zeigen, wenn es denn nötig war“ (S. 120).
Die Neuerscheinung ist eine ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Lektüre für die Erstbegegnung mit Karl Valentin, interessant aber auch für Valentin-Kenner, da einige neue Facetten beleuchtet werden. Für die Unterrichtspraxis nützlich erscheinen insbesondere die oben angeführten Hintergrundinformationen, die Rubrik „Valentin-Liste“ (künstlerische Formen im Werk; Anekdoten und Witze; Ängste, Komplexe, Ticks) sowie die Zeittafel. Ein umfangreiches Literatur- und Medienverzeichnis liefert weiterführende Hinweise.
Theo Emmer
Breit, Gotthard / Peter Massing (Hrsg.):
Soziale Milieus. Politische und gesellschaftliche Lebenswelten in Deutschland. Eine Einführung. Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2011 (uni studien politik Bd. 41). 112 S., ISBN 978-3-89974645-7, 9.80 €
In den Sozialwissenschaften hat sich neben traditionellen Konzepten wie „Klasse“, „Schicht“, „Gruppe“ das der „sozialen Milieus“ etabliert, um gesellschaftliche Ungleichheiten zu beschreiben und Veränderungsprozesse transparent zu machen. Vorliegende Neuerscheinung führt in dieses Konzept ein.
Einleitend untersuchen die Herausgeber Gotthard Breit, emeritierter Professor für Politikwissenschaften und deren Didaktik, und Peter Massing, Professor für Politikdidaktik, den Begriff „soziale Milieus“ und stellen die einzelnen Kapitel vor. Ausgehend vom Begriff „politische Milieus“ zeigt Oscar W. Gabriel, Professor für Politikwissenschaften, anhand der Milieu- und Parteienentwicklung den gesellschaftlichen Wandel in Deutschland vom Kaiserreich über Weimarer Republik und alte Bundesrepublik bis zum wiedervereinigten Deutschland auf und stellt fest, dass sich soziale Milieus heute nicht mehr eindeutig den großen politischen Lagern zuordnen lassen. Klaus Detterbeck, Lehrstuhlvertreter für Politikwissenschaften, beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit dem Zusammenhang zwischen den Veränderungen der sozialen Milieus in Deutschland und der Krise der Volksparteien. Mit Hilfe der sozialen Milieus analysiert der Soziologieprofessor Michael Hofmann Sozialstruktur und Strukturwandel in der ehemaligen DDR sowie die Veränderungen seit der Wende, mit der eine Angleichung der sozialen Milieus in Ost- und Westdeutschland begann, aber noch lange nicht abgeschlossen ist. Anhand der Politikfelder „nachhaltige Familienpolitik", Pflegereform und wohlfahrtsstaatliche Aktivierung der „neuen Alten" (rüstige Rentnerinnen mit erheblichen Kompetenzen und viel Zeit) geht Diana Auth, wissenschaftliche Assistentin für Politikwissenschaft, den Auswirkungen demografischer Wohlfahrtsstaatspolitik auf soziale Milieus nach: Nicht die Unterschichten-, sondern die Mittel- und Oberschichtenmilieus werden begünstigt. Peter Massing stellt im Schlusskapitel die politische und gesellschaftliche Lage von MigrantInnen in Deutschland vor und kommt zu der Feststellung, dass (zumindest nach deren Selbsteinschätzung) die Integration weitgehend gelungen ist - anders als viele Medien den Eindruck erwecken; andererseits ist die Lage von Menschen mit Migrationshintergrund erheblich schlechter als die der einheimischen Bevölkerung.
Zahlreiche Schaubilder, die teilweise etwas größer sein dürften, veranschaulichen die Beiträge. An jeden Aufsatz schließen sich Literaturangaben an. Dem eiligen Leser nützen die Abstracts. Das Bändchen ist besonders für den Sozialkundeunterricht in der 11. Jahrgangsstufe hilfreich - sowohl für die Vorbereitung des Lehrers, als auch als Materialfundus für Referate und Prüfungen.
Theo Emmer
Autoritäre Regime
Buchtipp für den Geschichts-/Sozialkundelehrer
Albrecht, Holger / Rolf Frankenberger / Siegfried Frech (Hrsg.): Autoritäre Regime. Herrschaftsmechanismen, Legitimationsstrategien, Persistenz und Wandel, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2011 (= Basisthemen Politik Bd. 12), 336 S., ISBN 978-3-89974642-6, 16.80 €
Entgegen den Normen westlicher Demokratieforschung werden in unserem Jahrhundert mindestens 25 Prozent aller Staaten autoritär regiert, hinzu kommen Länder, die zwar einen Transformationsprozess weg vom Autoritarismus durchlaufen, aber noch Defizite hinsichtlich der Etablierung einer liberalen Demokratie aufweisen; so haben mehrere postsowjetische Staaten formal demokratische Institutionen auf, sind jedoch von autokratischen Machtstrukturen geprägt. Vorliegender neuer Band der Reihe „Basisthemen Politik“ liefert eine breit gestreute Studie exemplarischer autoritärer Regime außerhalb der OECD-Welt in Südostasien, Afrika, Lateinamerika, den Golfstaaten und Osteuropa. Im Vordergrund stehen das politische Institutionengefüge und politische Legitimationsstrategien sowie Elitenmuster oder Wandlungsprozesse autoritärer Regime, wie z. B. die aktuelle Debatte um die Pressefreiheit in Belarus widerspiegelt.
Einleitend betrachten die Herausgeber „Autoritäre Regime nach der ‚Dritten Welle’ der Demokratisierung“, die Anfang der 1980er Jahre begann und mit dem Zusammenbruch des osteuropäischen Sozialismus ihren Höhepunkt fand, und führen die einzelnen Beiträge ein. Dr. Holger Albrecht, Assistenzprofessor für Politikwissenschaft an der American University in Kairo, und Dr. Rolf Frankenberger, Akademischer Rat am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen, geben in dem Kapitel „Die ‚dunkle Seite’ der Macht: Stabilität und Wandel autoritärer Regime“ einen Überblick über das Phänomen und die reale Entwicklung autoritärer Systeme. Prof. Dr. Petra Stykow vom Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München fokussiert in ihrem Aufsatz „Autoritäre Systeme in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion“ die dortigen Präsidentschaftswahlen in den letzten zwei Dekaden. Unter der Überschrift „Institutioneller Wandel in Russland – Die Konsolidierung der Autokratie“ illustriert Rolf Frankenberger am Beispiel Russlands, dass den politischen Institutionen und deren zielgerichteter Veränderung eine wichtige Funktion bei der Sicherung politischer Herrschaft in einer Autokratie zukommt. Prof. Christoph H. Stefes, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende und Postsowjetische Studien an der University of Colorado, versucht unter dem Titel „Regimebeständigkeit und ‚Revolution’: Armenien und Georgien im Vergleich“ (In-)Stabilitätsfaktoren dieser Regime herauszufinden. „Die Finanzkrise in China: Auswirkungen auf die Legitimität der Parteiherrschaft“ untersucht Dr. Heike Holbig, Wissenschaftliche Referentin für die Politik Chinas am German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg und Mitherausgeberin der Vierteljahreszeitschrift Journal of Current Chinese Affairs. Im folgenden Aufsatz „Autoritäre Regime in Südostasien: Persistenz und Wandel von Militärregimen“ analysiert Dr. Marco Bünte, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA-Institut für Asienstudien, in exemplarischen Länderstudien die unterschiedlichen Formen, Funktionen und Entwicklungsdynamiken militärischer Herrschaft in Südostasien. „Autoritäre Regime im Vorderen Orient: Herrschaftssicherung trotz Herrscherwechsel“ ist der Text der Politik-, Islam- und Rechtswissenschaftlerin Maria Josua, Wissenschaftliche Angestellte am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen, überschrieben; sie erörtert den typischen Ablauf solcher Prozesse und analysiert die Phasen einer dynastischen Nachfolge. Dr. Thomas Demmelhuber, Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Politische Wissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, beschäftigt sich mit dem „Familienunternehmen Ägypten“. „Die Modernisierung des Autoritarismus in den arabischen Golfstaaten“ untersucht Dr. Michael Schmidmayr, der am in Nancy befindlichen deutsch-französischen Campus von Sciences Po lehrt. In seinem Beitrag „Strukturelemente autoritärer Regime in Afrika“ klassifiziert Dr. Jörg Kemmerzell, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt, diese Regime zunächst, analysiert den historischen Kontext des postkolonialen Staates und dessen nachwirkendes Erbe, stellt Erklärungsmodelle der Persistenz autoritärer Herrschaft vor und diskutiert sie am Beispiel afrikanischer Staaten. Dr. Beatrice Schlee, Senior Researcher am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg, zeichnet unter der Überschrift „Politische Apathie als Antwort auf die Krise in Simbabwe“ ein Stimmungsbild der dortigen Bevölkerung, das das Ausmaß politischer Ohnmacht und den Grad an Demütigungen zeigt, den der wirtschaftliche Verfall des einstigen Musterlandes herbeigeführt hat. In seinem Kapitel „Autoritarismus und Demokratie in Lateinamerika“ sieht Dr. Peter Thiery, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für angewandte Politikforschung der Universität München sowie am Institut für Politikwissenschaft der Universität Würzburg, als größte Gefahr für die Handlungsfähigkeit lateinamerikanischer Demokratien das Problem der organisierten Kriminalität, das wesentlich zur Erosion des staatlichen Gewaltmonopols und letztlich zur Gewöhnung an defekte Demokratien beitrage. Franziska Stehnken, die derzeit ihre Magisterarbeit schreibt, geht in ihrem abschließenden Aufsatz „Kuba – Im Herbst der Patriarchen“ der Frage nach, wie Kubas autoritäres Systems bisher überleben konnte.
Viele der Beiträge beinhalten grafische Visualisierungen, alle umfangreiche Anmerkungen, fast alle schließen mit einem Literaturverzeichnis an, Abstracts und Informationen zu den AutorInnen runden das Werk ab.
Insbesondere für den Sozialkundeunterricht in der neuen gymnasialen Oberstufe in Bayern (G/Sk Q 12) liefert die Neuerscheinungen wertvolle Hintergrundinformationen, Textauszüge und Grafiken eignen sich hervorragend für Unterrichts- und Prüfungszwecke.
Theo Emmer
Stephan Bierling: Geschichte des Irakkriegs
Der Sturz Saddams und Amerikas Albtraum im Mittleren Osten. München, C.H.Beck-Verlag, 2010 (= Beck`sche Reihe 1890), 253 S. mit 11 Abbildungen und 5 Grafiken, ISBN 978-3-406-60606-9, 12,95 €
Anlässlich einer Präsentation seines neuen Buches wurde Stephan Bierling, Professor für Internationale Politik und Transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg, von einem Kollegen aus der Amerikanistik, der sich in Neuerer und Neuester Geschichte habilitiert hat, gefragt, warum er sich getraut habe, eine Geschichte des Irakkriegs schon zu einem Zeitpunkt vorzulegen, zu dem der „Pulverdampf kaum verraucht“ sei. Der Autor verwies auf die exzellente Quellenlage (vgl. Umfang von Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Bildnachweis S. 224 – 249), die es ihm ermöglichte, die erste Gesamtschau des Krieges von seiner dramatischen Vorgeschichte über den Sturz Saddams und die katastrophale Nachkriegsplanung bis hin zur aktuellen Lage zu liefern: „So intransparent die Kriegsgründe der Bush-Regierung waren, so ausgezeichnet wissen wir heute über die internen Debatten, die Nachkriegsplanung und den Kriegsverlauf Bescheid.“ Bierling bezeichnete es als wichtigste Aufgabe der Zeitgeschichte, Fakten zu sammeln, auszuwerten und schlüssig zu interpretieren, um einer Legendenbildung entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang ist seine Antwort auf eine Frage aus dem Auditorium zu sehen, die einen „Krieg ums Öl“ konstruierte. Dafür gibt es, so Bierling, keine Belege: Öl spielte in den internen Debatten der US-Regierung vor dem Krieg keine Rolle, eine Besetzung des Irak und der Ölquellen war nie geplant (vgl. Buch S. 131 ff.), die USA bezogen so gut wie kein Öl aus dem Irak, allenfalls könne man von einer Hoffnung auf stabile Öllieferungen nach einem Regimewechsel sprechen.
Warum haben sich die USA in das Abenteuer Irakkrieg gestürzt? „Unter dem Schock der Terroranschläge vom 11. September 2001 trieb sich die Bush-Regierung in einer Mischung aus Alarmismus, Selbsttäuschung und Allmachtsphantasien in das Projekt der Entmachtung ihrer langjährigen Nemesis Saddam Hussein. Der Präsident und seine engsten Berater waren besessen von der Angst, die Attacken auf das Word Trade Center und das Pentagon bildeten nur den Auftakt für einen Dauerangriff internationaler Terroristen gegen Amerika. Der zentrale Grund für den Krieg bestand im Wunsch von Bush Co., durch eine Demonstration der eigenen Macht ein Exempel zu statuieren … Nach der Erniedrigung durch 9/11 brauchte Washington einen Akt imperialer Selbstbestätigung. … Der Irak wurde deshalb zur Zielscheibe, weil er der einfachste Gegner in der „Achse des Bösen“ war. Es lagen 16 Resolutionen des Sicherheitsrats gegen ihn vor, und er schien im Gegensatz zu Iran und Nordkorea leicht besiegbar“ (S. 8 f.).
Bush entschied laut Bierling oft aus dem Bauch heraus, für Beratung war er nicht offen bzw. waren seine Berater so ausgewählt, dass sie ihn in seiner vorgefassten Meinung stützten. „Es war … Vizepräsident Cheney, dessen Lageanalyse den Präsidenten … am stärksten beeinflusste. Er wurde getrieben von der Sorge, Al Khaida könne sich Massenvernichtungswaffen beschaffen, um sie gegen die USA einzusetzen. Wenn es für ein solches Szenario nur eine „einprozentige Chance“ gebe, … „müssen wir es als sicher annehmen und darauf antworten“ (S. 33 f.). Warnungen etwa von Außenminister Powell etwa vor den mit einem Militärschlag gegen der Irak verbundenen Risiken (S. 44 und 49 f.) blieben wirkungslos, und zu einem „Tun-Sie-es-nicht!“ konnte er sich nicht durchringen (S. 50).
Der dreiwöchige Krieg war zweifellos ein militärischer Erfolg. Aber es stellte sich heraus, dass die beiden wichtigsten Rechtfertigungen für den Angriff – die vermeintliche Produktion von Massenvernichtungswaffen und die Konspiration Saddams mit Al Khaida – jeder konkreten Grundlage entbehrten. Geradezu beklemmend schildert Bierling das Ausmaß der amerikanischen Inkompetenz auch auf höchster Ebene – und den gewaltigen Blutzoll, den der Konflikt bis heute vor allem der irakischen Zivilbevölkerung abverlangt hat und auch nach dem von Präsident Obama initiierten Abzug der US-Truppen abverlangen wird.
„Niemand beginnt einen Krieg - oder vielmehr sollte vernünftigerweise einen Krieg beginnen -, ohne sich zunächst darüber klar zu werden, was er mit diesem Krieg erreichen will und wie er ihn führen will.“ Diese rationalen Clausewitz-Worte hat Bierling seiner „Geschichte des Irakkriegs“ vorangestellt – eine pazifistische Grundhaltung wird man weder dem preußischen General und Militärtheoretiker noch Bierling zuschreiben: Die Genese seines Buches, die der Rezensent partiell miterleben durfte, spiegelt das ganz deutlich wider. Aber „Entscheidend ist, was hinten herauskommt“, sagte der ehemalige Bundeskanzler Kohl einmal – sehr frei nach Äsop (um 600 v. Chr.) und Jesus Sirach (um 180 v. Chr.): „Quidquid agis, prudenter agas et respice finem“.
Bierling Buch schließt dennoch mit dem Kapitel „Lichtblicke“ (S. 221 f.), in dem er die These aufstellt, dass „der Irakkrieg die USA moralisch und machtpolitisch nicht irreparabel beschädigt hat“ (S. 221). „Vermutlich wird sich der Irakkrieg im historischen Rückblick nicht als das erweisen, als was ihn seine Kritiker und seine Verteidiger darstellen: weder als das weltpolitische Fiasko noch als der Schlüssel zur Lösung der Probleme im Mittleren Osten und zur Demokratisierung der arabischen Welt“ (S. 223). Wer Amerikas Außenpolitik und seine Rolle im Mittleren Osten verstehen will, wird an Bierlings dichter und packend geschriebener Analyse nicht vorbeikommen; für den Unterricht in der neuen gymnasialen Oberstufe in Bayern (G/Sk Q 12) liefert es wertvolle Hintergrundinformationen, Textauszüge eignen sich hervorragend für Unterrichts- und Prüfungszwecke.
Vielleicht wird sich eines der nächsten Bierling-Bücher mit der Demokratisierung der arabischen Welt beschäftigen, von (un)tauglichen Versuche berichten uns ja täglich die Medien.
Theo Emmer
Buchtipps für Geschichts- und Sozialkundelehrer |
Buchtipps (nicht nur) für den Geschichtslehrer |
Buchtipp für den Geschichtslehrer
Buchtipp für den Geschichtslehrer
Rambach, Günther: Hakenkreuz und Martinskirche. Schicksalsjahre in der Oberpfalz 1933 - 1959, o. O. [Amberg], Selbstverlag, 2010, 264 S., gebunden, ISBN 978-3-00-031635-7, 19.80 € [zu beziehen über das Kontaktformular auf der Homepage des Autors: www.g-rambach.de, über Amazon und engagierte Buchhändler]
Die Neuerscheinung handelt vom Leben des Josef R., von dessen Ehefrau und dem kleinen, ohne Vater aufwachsenden Sohn. Josef R. schloss sich 1933 als 18-jähriger Musikbegeisterter den Spielmannszügen von SA und SS an und war stolz darauf, in Uniform aufzutreten. Dies legte sich aber mehr und mehr, als er dieses Gewand gegen eine Wehrmachtsuniform eintauschen und je länger er im Zweiten Weltkrieg Dienst an der Ostfront leisten musste. Von dort schrieb er unzählige Briefe an seine Lieben in der Heimat. Wenige herausgegriffene Sätze spiegeln seine Haltung wider: „Ich denke mir bloß immer, wie schrecklich es wäre, wenn es euch zu Hause so ginge wie den Russen hier“ (Sommer 1942), „Glaubst nicht, wie einem [!] das Leben hier … ankotzt. […] Das Denken darf man ja gar nicht anfangen“ (April 1944), „Dieser verdammte Krieg müsste halt bald aus sein (in Variationen immer wieder)“; diese ehrlichen Worte waren riskant, denn wären die Briefe von der Zensur gelesen worden, wäre er strengstens bestraft worden. Zu Hause hatte ihm seine Frau einen Sohn Günter geboren, den er nur bei zwei Heimaturlauben sehen sollte. Mitte 1944 fiel Josef R. an der „Ostfront“. Das Buch endet aber nicht damit, sondern erzählt weiter: vom Kriegsende in Amberg, vom Leben der jungen Witwe mit dem kleinen Kind, von Entbehrungen der unmittelbaren Nachkriegszeit, von der Entnazifizierung, von der Kindergarten- und Schulzeit des kleinen Günter R.
Dass es sich dabei trotz des fehlenden h im Vornamen und des abgekürzten Nachnamens um den Autor handelt, ist offensichtlich; aber die Publikation ist keine rührselige Familiensaga, sondern geht weit über das Persönliche hinaus und erzählt den Alltag in der kleinen Stadt Amberg (das austauschbar ist) im Nazi-Deutschland und in den Nachkriegsjahren, über mutige Oberpfälzer, die sich den Nazis widersetzten, von („)Vergangenheitsbewältigung(“) bis 1959: hier wenigstens vom Ansatz her ernsthafte Versuche, dort aber auch ein Oberbürgermeister, der sowohl in der NS-Zeit – hier natürlich für die NSDAP – amtierte als auch in den 1950er Jahren als Parteiloser für eine rechtsextreme Splitterpartei.
Das Buch basiert auf jahrelanger akribischer Recherchearbeit in mehreren Archiven, alten Zeitungen und der wissenschaftlichen Literatur, mehr als 500 Feldpostbriefe wurden ausgewertet. Über 500 Anmerkungen und ein umfangreiches Literaturverzeichnis belegen das, ferner hat der Autor zahlreiche Fotos und Auszüge aus Feldpostbriefen aus seinem Privatarchiv abgedruckt – eine reiche Fundgrube bisher unveröffentlichten Materials für den Unterricht. Rambach hat somit eine verdienstvolle wissenschaftliche Arbeit zu einem bislang nur rudimentär erforschten regionalen Schwerpunktthema vorgelegt, die aber durchaus kein trockenes Geschichtswerk ist. „Geschichte muss sich dem Leser einprägen. Und dazu bedarf es dramatischer Geschichten und Situationen. Deshalb stehen spannende Konstellationen mit tätigen und leidenden Menschen im Mittelpunkt von ‚Hakenkreuz und Martinskirche’. Eine bewusste Emotionalisierung soll … erreicht werden“, so der ehemalige Lehrer für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde am Max-Reger-Gymnasium Amberg. Seine wissenschaftlich fundierte „Geschichtserzählung“ ist folglich auch für einen größeren Kreis außerhalb der Expertenszene gut lesbar, insbesondere für Jugendliche, und eignet sich auch von daher bestens für einen Unterricht „gegen das Vergessen“.
Theo Emmer
Materialtipp für den Sozialkundelehrer
Internationale Politik I: Sicherheit und Frieden. Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, (= Wochenschau Sek. I Nr. 1/2-2010). ISBN 978-3-89974594-8. 104 S. € 27,00 bzw. € 15,00 (Klassensatz)
und
Das politische System Deutschlands. Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag,
(= Wochenschau Sek. II Nr. 1/2-2010). ISBN 978-3-89974599-3. 116 S. € 27,00 bzw. € 15,00 (Klassensatz)
Die „Wochenschau“-Hefte liefern Schülern aktuelle Materialien für den Politikunterricht.
Vorliegende Ausgaben präsentieren sich neu: Das Layout ist schülergerechter und für Jugendliche ansprechender geworden. Inhaltlich sind sie wie bisher aktuell, kontrovers und
problemorientiert; Arbeitsblätter, Unterrichtstipps, Erwartungshorizonte für die Aufgaben, Grafiken und Kurzinformationen sollen den praktischen Nutzen für den Einsatz im Sozialkundeunterricht erhöhen.
Das Basisheft „Internationale Politik: Sicherheit und Frieden“ führt die SchülerInnen anhand aktueller internationaler Konflikte wie dem Krieg in Afghanistan oder dem Atomstreit mit dem Iran in Probleme und Perspektiven der Friedenssicherung und Sicherheitspolitik ein. Es beinhaltet folgende Kapitel: Raus aus Afghanistan?, Frieden – was ist das?, Kriege und gewaltsame Konflikte heute, Sicherheit: Für wen? Wovor? Wodurch?, Akteure: Wer kann und will Frieden und Sicherheit gewährleisten? (UNO, NATO, OSZE, EU, zivilgesellschaftliche Akteure), „Global Governance“ – wer löst die Weltprobleme? Es liefert trotz der verlagsseitigen Zuordnung zur Sekundarstufe I reichlich Material für den Sozialkundeunterricht in der Q 12,
Wie stellen sich Initiativen wie „Mehr Demokratie“ im Kontext der parlamentarischen und repräsentativen Demokratie praktisch dar? Führen Wähler- und Mitgliederschwund zu einem Verschwinden der großen Volksparteien? Welche Rolle spielt das Bundesverfassungsgericht bei der Hartz-IV-Gesetzgebung? Das Basisheft „Das politische System Deutschlands rollt sein klassisches Thema nicht nur neu auf, sondern erklärt SchülerInnen zentral politische Kontoversen, Grundprinzipen, Prozesse, Institutionen und Akteure des politischen Systems der BRD. Es ist in folgende Kapitel unterteilt: Das Grundgesetz und das politische System, Die Verfassungsprinzipien der Bundesrepublik, Institutionen im Gesetzgebungsprozess: Das Beispiel Zuwanderungsgesetz, Akteure im politischen System (Wähler, Parteien, Medien, Verbände). Es eignet sich somit für den Einsatz im Sozialkundeunterricht der 10. Jahrgangsstufe und Q 11.
Beide Publikationen liefern bei Verwendung nur durch den Lehrer auch Material für Arbeitsaufträge und andere Leistungsnachweise.
Leseproben und kostenlose Zusatzmaterialien über www.wochenschau-online.de
Theo Emmer
Prüfungs- und Basiswissen
Buchtipp für den Geschichtslehrer
Wilms, Eberhard: Deutschland nach 1945. Prüfungs- und Basiswissen für Schülerinnen und Schüler. Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2010 (= Grundwissen kontrovers). ISBN 978-3-89974404-0. 240 S. € 14,80
Laut Klappentext soll die neue Reihe „Grundwissen kontrovers“ Wissen wiederholen bzw. festigen und insbesondere auf Vergleichsarbeiten, Klausuren und Abiturprüfungen vorbereiten, enthält sie das Wissen, über das die SchülerInnen den Lehrplänen entsprechend verfügen müssen, deckt sie die zentralen Themen der gymnasialen Oberstufe ab, hilft sie bei der Lösung von Darstellungs-, Interpretations- und Erörterungsaufgaben, enthält sie einen Erörterungsteil, in dem fachwissenschaftliche Deutungskontroversen vorgestellt werden und der den SchülerInnen eine eigene Stellungnahme ermöglicht.
Vorliegende Neuerscheinung ist der erste Band dieser derart konzipierten Reihe, Autor ist Eberhard Wilms, Studiendirektor i. R. Er eröffnet SchülerInnen einen neuen Zugang zur Geschichte, indem er nicht nur in die deutsche Nachkriegsgeschichte einführt (Kapitel: Kriegsende und erste Besatzungszeit; Der Weg zur Teilung Deutschlands: erste Etappe 1946 – 1949; Die Teilung Deutschlands: die fünfziger Jahre; Bau der Berliner Mauer; Ausgrenzung und Annäherung 1961 – 1989: Zwei Staaten – eine Nation oder zwei Nationen und zwei Staaten?; Privates Leben 1961 – 1989; Von der „Wende“ zur Einheit; Ausblick), sondern am Ende jedes Kapitels in einem Erörterungsteil fachwissenschaftliche Kontroversen beleuchtet. Dabei legt er großen Wert auf eine gesamtdeutsche Betrachtung und behält die DDR- und die deutsch-deutsche Geschichte stets im Blick.
Das Buch wendet sich in erster Linie an SchülerInnen, kann jedoch auch Studierenden und Lehrenden nützen. Sehr benutzerfreundlich sind Kopfzeile und Marginalspalte, weil sie schnelles Nachschlagen und rasches Orientieren innerhalb der Kapitel ermöglichen. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis, ein Register sowie zwei schematische Überblicksdoppelseiten runden das gelungene Werk ab.Aus der Sicht eines bayerischen Gymnasiallehrers wäre es wünschenswert, wenn sich der Verlag bei der Konzeption weiterer Bände der Reihe auch etwas stärker an den Lehrplanthemen der neuen bayerischen gymnasialen Oberstufe orientieren bzw. diese bei den Kapitelgliederungen berücksichtigen könnte, denn die vorzügliche Vorstellung wissenschaftlicher Kontroversen könnte die Unterrichtspraxis bereichern.
Theo Emmer
Sexuelle Gewalt und intime Beziehungen...
Buchtipp (nicht nur) für den Geschichts- und Sozialkundelehrer
Mühlhäuser, Regina: Eroberungen. Sexuelle Gewalt und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941 - 1945. Hamburg (Hamburger Edition) 2010, 416 Seiten, ISBN 978-3-86854-220-2, 32,- €
Die Bedeutung von Sexualität im Krieg ist in den letzten Jahren stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt - sei es durch Medienberichte von Massenvergewaltigungen z. B. im Kongo oder durch die UN-Resolution, die die Ausübung sexueller Gewalt erstmals als Kriegstaktik bezeichnet. Es gibt auch eine Reihe geschichtswissenschaftlicher Publikationen zu diesem Rahmenthema, von denen aber nur sehr wenige Ausmaß und Bedeutung sexueller Kontakte deutscher Soldaten in den besetzten Gebieten der Sowjetunion untersuchen. Vorliegende Neuerscheinung trägt dazu bei, die Lücke zu schließen; sie basiert auf der Dissertation der Historikerin Regina Mühlhäuser, die heute wissenschaftliche Mitarbeiterin in Reemtsmas Hamburger Stiftung zur Forderung von Wissenschaft und Kultur ist.
Sie weist nach, dass deutsche Truppenangehörige in der UdSSR (konkret: Estland, Lettland, Litauen, Ukraine, Weißrussland, Russland) sexuelle Verbrechen begingen - Frauen zu Opfern sexueller Folter machten und vergewaltigten; darüber hinaus betrachtet sie aber auch das gesamte Spektrum heterosexueller Aktivitäten von Wehrmachts- und SS-Angehörigen im Kontext der damaligen Vorstellungen von Männlichkeit und Sexualität, untersucht Kontakte mit „geheimen“ Prostituierten und in Militärbordellen, Sex gegen Schutz oder Lebensmittel sowie einvernehmliche Beziehungen, z. T. mit der Folge von Schwangerschaften und Heiratsgesuchen der Männer. Die Autorin begreift sexuelle Vorstellungen und Praktiken als Form von Macht / Wissen: Vergewaltigungen im Krieg z. B. sind einerseits brutaler Lustgewinn an wehrlosen Opfern, andererseits sollen sie den feindlichen Soldaten demonstrieren, dass sie ihre Frauen und Töchter nicht schützen können.
Die Publikation widerlegt die verbreitete Vorstellung, die deutsche Militärführung hätte angesichts der offiziellen nationalsozialistischen Ablehnung sexueller Kontakte deutscher Männer zu „fremdvölkischen“ Frauen vor den Hintergrund der NS-Ideologie sexuelle Aktivitäten von Soldaten in Osteuropa konsequent bestraft. Die Führungen von Wehrmacht und SS versuchten auch nicht, heterosexuelle Kontakte strikt zu unterbinden, denn die sexuelle Befriedigung galt als probates Mittel, um den Kampfeinsatz der Männer zu optimieren. Es gab jedoch institutionelle Bemühungen, die Sexualität der Soldaten zu kontrollieren: Insbesondere die Wehrmacht hielt ihre Soldaten zu sexueller Mäßigung an, verpflichtete sie zu hygienischer Vorsorge und errichtete Militärbordelle. Letztere begünstigten andererseits sexuelle Aktivitäten der Soldaten. NS-Behörden entwarfen auch Pläne zum Umgang mit Soldatenkindern. Anhand der Auswertung von zahlreichen Militärdokumenten, persönlichen Berichten und Interviews ergründet die Autorin das komplexe Zusammenspiel zwischen dem Verhalten von Soldaten und den Reaktionen der NS-Militärführung.
Die vorliegenden Besprechungen diskutieren das Buch kontrovers: Sogar von einer „Wiederholung der Reemtsma-Ausstellung ‚Verbrechen der Wehrmacht’ in Klein“ ist die Rede mit ihrer Verallgemeinerung von „Einzeltaten“ – in Verkennung der Tatsache, dass es das Verdienst der überarbeiteten Fassung der Ausstellung mit dem plakativen Titel war, die Legende von der „sauberen Wehrmacht“ öffentlichkeitswirksam zu beenden, wobei sie „kein pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten fällen“ wollte (Zitat aus dem Ausstellungskatalog von 1996), in Verkennung des ganz anderen Fokus der Neuerscheinung und der Einbeziehung ‚Einvernehmlicher Verhältnisse’. Angesichts dieses Kapitels geht auch am Titelbild (das keine sexuelle Gewalttat zeigt, sondern eher eine Zärtlichkeit) festgemachte Kritik ins Leere, denn es ist wohl dem Buchtitel „Eroberungen“ geschuldet. Vorliegende akribische (das gegliederte Literaturverzeichnis hat über 30 Seiten) Studie stellt das Phänomen sexueller Gewalt deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg systematisch, methodisch sicher und seriös dar, verzichtet auf moralisierende Kommentare und analysiert präzise am Einzelfall - dies spricht für sich und ist sehr ergiebig; so vermisst der Verfasser dieser Zeilen auch nicht die von anderen Rezensenten monierten fehlenden Synthesen, zumal gerade so die Gefahr, in die Nähe von Pauschalurteilen zu gelangen, vermieden wird. Es gelingt der Autorin, die Vielschichtigkeit des Zusammentreffens von Militär- und Zivilgesellschaft aufzuzeigen – vor allem aus der Sicht der Eroberer/Besatzer, also deutscher Soldaten, Militär- und Zivilbehörden. Sie bezieht auch die Perspektive der Frauen ein, was bei Gewaltopfern ergiebiger ist als im Kontext von Bordell- und einvernehmlichen Beziehungen, weil diese Betroffenen nach dem Krieg schweigen mussten, um in der Sowjetunion nicht in den Verdacht der Kollaboration zu geraten. Man mag Regina Mühlhäuser vorwerfen, das Thema zu wenig in den Kontext der Sexualität unter der Bedingung eines Eroberungsfeldzuges eingeordnet zu haben, muss ihr jedoch andere Schwerpunktsetzungen zugestehen.
Vorliegende Untersuchung erweitert und vertieft die bisherige Forschungsergebnisse zur sexuellen Politik von Wehrmacht und SS und fördert das Verständnis für die Verwobenheit von Männlichkeit, Gewalt und Sexualität in Kriegszeiten.
„Auch Deutschland hat sich noch nicht zu den Vergewaltigungen bekannt, die … Soldaten während des Krieges begangen haben. Dieses heikle Thema müsste anhand der Gerichtsurteile gegen Soldaten aufgearbeitet werden, die durchaus existieren. Es gab Rügen, Strafversetzungen, Verurteilungen. … Statt dessen prägt das Bild vom ‚frauenschändenden Iwan’ immer noch die Gedanken der älteren Generation. Trotz aller Greueltaten, die … Soldaten der Roten Armee ohne Frage begangen haben, als sie in Deutschland vorrückten: Die Deutschen haben den Krieg begonnen – auch den Krieg gegen die Frauen (Stefan Maiwald / Gerd Mischler: Sexualität unter den Hakenkreuz. München 2002. S. 156 f.).
Theo Emmer
Leitfaden zur Seminararbeit.
Buchtipp für Leiter von W-Seminaren
Punktlandung. Leitfaden zur Seminararbeit. W-Seminar, Schroedel-Verlag, 2009, 64 S., ISBN 978-3-507-10878-3, 5.95 €
Vorliegendes Büchlein von Christian Raps und Florian Hartleb mit Beiträgen von Sigrid Raps ist als Schülermaterial für W-Seminare konzipiert. Im Unterschied zu den viel dickeren Publikationen anderer Verlage, die umfassend in wissenschaftliches Arbeiten einführen und somit Material für den Seminarunterricht bereitstellen, will die schlanke Schroedel-Publikation SchülerInnen einen Leitfaden für die Seminararbeit liefern. Dies tut sie prinzipiell unabhängig von Fach und Rahmenthema mit dem Fokus auf Arbeitsweisen bei politischen, geschichtlichen und geografischen Aufgabenstellungen.
Der chronologische Aufbau (Vorbereitung einer Seminararbeit, Stoffsammlung, Arbeitstechniken, äußere Form und Gestaltung, Präsentation) kann auch den SeminarleiterInnen als Übersicht über die zu vermittelnden inhaltlichen, methodischen und sozialen Kompetenzen dienen. Da auf Doppelseiten thematisch geschlossene Themenblöcke präsentiert werden, sind sie theoretisch in beliebiger Reihenfolge nutzbar.
Strategien zur Themenfindung und Tipps zur Eigenorganisation im ersten Kapitel helfen bei der strukturierten Vorbereitung der Seminararbeit. Der folgende Abschnitt unterstützt durch viele methodische Anleitungen, etwa zur Literatur- und Internetrecherche oder Expertenbefragung, die eigenverantwortliche Stoffsammlung. Das dritte Kapitel vermittelt eine breite Palette mit Arbeitstechniken, z. B. Lese- und Auswertungsstrategien, Exzerpieren, Analysieren, Protokollieren, um wissenschaftliches Arbeiten zu ermöglichen und dazu anzuregen. Detaillierte Anregungen zu äußerer Form und Gestaltung der Arbeit, etwa zu Aufbau, Bibliografie und Zitation, enthält der folgende Abschnitt. Im Hinblick auf die Präsentation der Seminararbeit zeigt das letzte Kapitel schülernahe Zugänge zu rhetorischen und visualisierenden Darstellungsformen auf.
Ein Pluspunkt des knappen Leitfadens ist der günstige Preis, der eine Anschaffung durch die SchülerInnen ermöglicht, die dann in ihrem persönlichen Exemplar anstreichen und Notizen machen können.
Theo Emmer
Hier ist verborgen
Buchtipp nicht nur für den Geschichtslehrer
Pielmeier, Edgar / Heide Inhetveen: Hier ist verborgen. Impressionen vom Jüdischen Friedhof Sulzbürg. Neumarkt/OPf. 2009, 87 S., ISBN 978-3-00-029257-6, 15 € + Versandkosten
Vorliegender Fotoband wäre nicht entstanden, wenn der Regensburger Hobbyfotograf Edgar Pielmeier nicht einer Zeitungsmeldung entnommen hätte, dass der Sulzbürger Friedhof saniert werden soll, wenn er nicht das zur Gemeinde Mühlhausen im Landkreis Neumarkt/OPf. gehörende Dorf auf der Landkarte gesucht hätte, wenn er nicht den Friedhof wiederholt aufgesucht hätte, um seinen ursprünglichen Zustand in einer Fotoserie festzuhalten, und wenn er dabei nicht Heide Inhetveen getroffen hätte, die bis 2005 als Professorin an der Universität Göttingen Land- und Agrarsoziologie und Soziologie der Geschlechter gelehrt, zudem das Leben der Sulzbürger Juden erforscht hat und Führungen auf dem nur nach Anmeldung zugänglichen Friedhof veranstaltet.
Pielmeier hat mit zahlreichen Bildern die Stimmung des historisch-kulturell und landschaftlich interessanten Ortes zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten eingefangen, mehr und mehr hat er ihn dabei in seinen Bann gezogen. Schließlich haben Pielmeier und Inhetveen die Idee einer Ausstellung geboren und sind bei deren Umsetzung – Ende 2008 in der Jüdischen Gemeinde Regensburg, Ende 2009 zunächst in der Galerie Insinger in Pielenhofen-Distelhausen im westlichen Landkreis Regensburg und im Anschluss bis Ende Januar 2010 im Stadtmuseum Neumarkt/OPf. – auf breites Interesse (auch des Verfassers dieser Zeilen) gestoßen. Dank der Unterstützung verschiedener Einzelpersönlichkeiten wurde aus den Ausstellungen vorliegender Fotoband entwickelt.
Pielmeier waren bei der Komposition seiner Fotos folgende drei Aspekte wichtig: die Jahrhunderte alte Geschichte des Friedhofes, zum Ausdruck kommend in verschieden gestalteten und in unterschiedlichem Maße verwitterten Grabsteinen; die Vorstellung, dass ein Friedhof einerseits Ort von Schmerz und Vergänglichkeit, andererseits der Hoffnung auf Auferstehung und Weiterleben in der Erinnerung ist; die Romantik des Ortes durch Bäume, Hügel und Steine, die teils in Reihe stehen, teils im Boden versinken, teils ungeordnet zwischen Bäumen zu finden sind. Ihm ging es nicht darum, jeden Grabstein zu dokumentieren - das besorgt eine andere Arbeit.
Laut Heide Inhetveen ist die Geschichte des Dorfes Sulzbürg geformt von der mehr als 600 Jahre währenden Anwesenheit jüdischer Familien, ihrer Kultur und Lebensweise. Ihre wirtschaftlichen Aktivitäten verhalfen dem kleinen Ort einst zu Wohlstand und überregionaler Bekanntheit, Stiftungen sorgten für das Überleben nicht nur der jüdischen Armen. Die jüdische Vergangenheit lebt heute noch in Gebäude und Erinnerungen älterer Dorfbewohner weiter.
Inhetveen konstatiert Pielmeiers Fotos: „Bilder können auch ohne Texte bestehen“, Pielmeier aber ist überzeugt: „[Die Grab-]steine werden durch die Texte erst lebendig.“ Folglich ist dem ersten Foto vom Eingangsportal eine kurze Chronik des Friedhofs gegenübergestellt, zu den weiteren Bildern gehören z. B. Erklärungen jüdischer Kultur, Übersetzungen von hebräischen Grabinschriften (der sprachlich merkwürdige Buchtitel entpuppt sich als deren standardisierter Anfang), Zitate aus Fachbüchern und Gedichte.
Vorliegende Neuerscheinung ist eine reiche Fundquelle jüdischer Kultur und christlich-jüdischer Koexistenz, über viele Jahrhunderte gelebt in einem Dorf in oder irgendwo in unserer Heimat, bis zur abrupt-gewaltsamen Beendigung durch das NS-Terrorregime. Sie auch will auch Ausgangspunkt sein zum Nachdenken über ein historisches Thema, das nach wie vor aktuell ist: dass es Menschen unterschiedlicher Kultur und Religion schafften, ihr Zusammenleben gedeihlich zu organisieren.
Erhältlich ist der Fotoband im Stadtmuseum Neumarkt, in der Buchhandlung Pustet in Regensburg sowie beim Fotografen per E-Mail direktor@st-emmeram.de
Theo Emmer
Seminar Wissenschaftspropädeutisches Arbeiten
Buchtipp für Leiter von W-Seminaren
Seminar Wissenschaftspropädeutisches Arbeiten. 11/12, Donauwörth, Auer-Verlag, 1. Auflage 2009, 192 S., ISBN 978-3-403-06133-5, 17.90 €
Vorliegende, von Angelika Gassner, Carmen E. Kühnl, Peter Riedner, Nicole Sacher und Jens Willhardt bearbeitete Neuerscheinung ist als Schulbuch zugelassen und will den Schülern dabei helfen, Kompetenzen kennen zu lernen und zu erwerben, Methoden zielgerichtet anzuwenden, wissenschaftlich relevante Informationen zu recherchieren, auszuwerten, zu bewerten, zu strukturieren und aufzubereiten, die Ergebnisse in geeigneter Weise zu präsentieren und die Seminararbeit anzufertigen. Sein Aufbau orientiert sich am Entstehungsprozess einer Seminararbeit, durch das Bausteinprinzip kann er in allen W-Seminaren nutzbringend eingesetzt werden - ein Buch erscheint für die Schülerhand wertvoller als eine Vielzahl „fliegender“ Kopien.
Nach grundlegenden Informationen zu Zielsetzungen eines W-Seminars, wissenschaftlichem Arbeiten und Kontakten zu Hochschulen in den Kapiteln 1 mit 3 gibt das Buch Tipps zu Themenfindung und Zeitplanung bei einer Seminararbeit. Kapitel 4 stellt die Informationsbeschaffung vor: zunächst verschiedene Quellenarten, dann die Methoden Internetrecherche, Bibliotheksarbeit, Archiv-/ Museumsnutzung, Hörfunk- und Fernsehrecherche sowie Interviews und Umfragen, gefolgt von praktischen Hinweisen zum Bibliografieren für eine Seminararbeit. In den Kapiteln 5 mit 7 geht es um die Aufbereitung beschaffter Informationen: ums Auswerten von Texten, Interviews und Umfragen, Statistiken und Diagrammen und Archivierung von Informationen, um die Auseinandersetzung mit diesen Informationen (aufgezeigt an den Methoden Moderation, Pro-Kontra-Diskussion und Rollenspiel) sowie um das Ordnen des Materials, es schließen sich Hilfestellungen zu Aufbau (Anordnen, Gliedern, Argumentieren, Zitieren und Urheberrecht) und Fertigstellung (Layout, Schlussredaktion) der Seminararbeit an. Kapitel 8 beinhaltet das Präsentieren von Ergebnissen - Präsentationsarten, inhaltliche Auswahl und Aufbau, Medieneinsatz- und –arten, Redemanuskript und Handout sowie Vortrag - und schließt mit einer auf die Seminararbeit bezogenen Zusammenfassung.
Der Textteil wird veranschaulicht durch zahlreiche nützliche Grafiken, Schaubilder und Checklisten, ergänzt durch Materialien, Arbeitsanweisungen und Hinweise zum selbstständigen Beschaffen weiterer Informationen, abgerundet wird er durch Listen gängiger Suchmaschinen, Online-Lexika, weiterführender Literatur und Links sowie durch ein Stichwortverzeichnis und Quellenangaben.
Im Netz finden sich unter www.auer-verlag.de à Suche à „W-Seminar“ eingeben à Seminar Wissenschaftpropädeutisches Arbeiten à mehr wertvolle Zusatzmaterialien zum kostenlosen Herunterladen. Bleibt zu hoffen, dass sich hier künftig auch Aktualisierungen des Zahlenmaterials im Buch finden werden.
Theo Emmer
P-Seminar zur Studien- und Berufsorientierung
Das P-Seminar zur Studien- und Berufsorientierung. Bamberg, Buchners Verlag, 1. Auflage 2009, 192 S., ISBN 978-3-7661-4433-1, 15.80 €
Vorliegende, von Rainer Denkler, Rudolf Wagner-Jakob, Bettina Mordstein, Bernhard Hof, Anette Frey und Steffen Fritsche bearbeitete Neuerscheinung ist als Schulbuch zugelassen und kann in allen Seminaren nutzbringend eingesetzt werden kann, da es teilweise aktuelleres Material enthält als die BuS-Ordner und da ein Buch für die Schülerhand meist wertvoller erscheint als eine Vielzahl „fliegender“ Kopien.
Teil I des Buches beschreibt wichtige Entscheidungsfaktoren für die Studien- und Berufswahl; er ist unterteilt in die Kapitel Selbsterkundung, Testverfahren und Diagnoseinstrumente, Ausbildung oder Studium? Wege nach dem Abitur, Die Bewerbung, Exkurs: Zwischen Schule und Beruf, Informationsbeschaffung und Beratungsmöglichkeiten sowie Wandel der Arbeitswelt. Eingefügte Übungen und Arbeitsaufträge dienen der Reflexion über das im Seminar Gelernte. Am Ende der Kapitel finden sich Hinweise auf weitere Informationsquellen. Im zweiten Teil des Buches geht es um die Arbeit an einem konkreten Projekt; er gliedert sich in die Kapitel Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Viele Methoden führen zum Ziel, Last but not least (Präsentation, Abschlussgespräch, Evaluation) sowie Notfallkoffer (Zeitmanagement, Gruppenkonflikte, Stressbewältigung). Ein Sachregister rundet das Werk ab.
Interessierte finden weitere Informationen samt Musterseiten unter www.ccbuchner.de à Suche à „P-Seminar“ eingeben.
Theo Emmer
„Der Krieg hat uns geprägt"
Dörr, Margarete: „Der Krieg hat uns geprägt.“ Wie Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebten. Frankfurt a. M. / New York, Campus-Verlag, 2007, 2 Bände im Schmuckschuber, 1085 S., ISBN 978-3-593-38447-4, 49.90 €
Margarete Dörr war Gymnasiallehrerin und Fachleiterin für Geschichte am Seminar für Studienreferendare in Stuttgart und Heilbronn. Zusätzlich hatte sie einen Lehrauftrag für Fachdidaktik an der Universität Stuttgart. Seit ihrer Pensionierung – so schreibt sie dem Verfasser dieser Zeilen – habe sie sich intensiv mit Zeitzeugenarbeit befasst, woraus zwei Dokumentationen hervorgegangen sind: 1998 die ebenfalls bei Campus erschienene dreibändige: „Wer die Zeit nicht miterlebt hat ...“ Frauenerfahrungen im Zweiten Weltkrieg und in den Jahren danach, sowie 2007 die vorliegende.
Die Kriegskinder, worunter M. Dörr die Generation der zwischen 1930 und 1945 Geborenen versteht – sie selbst ist 1928 geboren -, gingen durch die Schrecken des Krieges und die Belastungen der Nachkriegszeit mit Bomben, Flucht, Vertreibung, Hunger, dem Verlust von Angehörigen etc., halfen das Überleben zu organisieren und trugen zum Wiederaufbau bei.
Für ihre Dokumentation der Kriegserlebnisse von Kindern hat die Autorin mehr als 500 Lebensgeschichten in mündlicher und schriftlicher Form gesammelt, hinzu kommen Tagebücher, Briefe, Fotos und andere persönliche Dokumente. In 22 Kapiteln stellt sie die vielfältigen Aspekte des Lebens von Kindern im und nach dem Zweiten Weltkrieg mit deren eigenen Worten dar. Dabei interpretiert und kommentiert sie - unter Auswertung der umfangreichen Primär- und Sekundärliteratur (siehe 20-seitiges Literaturverzeichnis) - die Geschichten vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse. Die Schrecken des Krieges sind ebenso Thema wie die nationalsozialistische Erziehung, die Verbrechen des Regimes und der Übergang in eine neue Diktatur in der sowjetisch besetzten Zone. Erstmals kommen auch donauschwäbische und russlanddeutsche Kinder zu Wort. Zum Abschluss reflektieren die Zeitzeugen, wie der Krieg ihr Leben und ihr Weltbild geprägt hat. „Die Welt“ vom 2.2.2008 stellt fest: „Meisterhaft beherrscht sie [M. Dörr] die geschichtswissenschaftliche ‚Thick description’, die verdichtete Beschreibung, aber auch die Erinnerungsforschung: So wird das Subjektive zwar zum Ausgangspunkt ihrer Generationen-Chronik, doch legt sie die Einzelschicksale dar, um sie möglichst in Beziehung zueinander zu setzen und die höchst persönlichen Schilderungen mit der angemessenen Behutsamkeit zu interpretieren.“ Das Buch ist ein Beitrag zum Verständnis nicht nur der Generation der Kriegskinder selbst, deutlich wird auch, was deren Prägung für die kulturelle und politische Wirklichkeit unseres Landes bis heute bedeutet. In der „Zeit“ vom 6.12.2007 wurde das Buch folglich „ein beklemmendes Manifest wider Krieg und Totalitarismus, das jedes pazifistische Mahnmal ersetzt“, genannt.
Die sehr verdienstvolle Arbeit ist schon aufgrund der vielen verwendeten Quellen für jede weitere Beschäftigung mit dem Thema unerlässlich und eignet sich vorzüglich zum Einsatz im Geschichtsunterricht, zumal es immer schwerer wird, direkt auf Zeugen dieser Zeit zurückzugreifen. Der am Ende des Buches im Wortlaut abgedruckte Fragebrief an die Zeitzeugen liefert Anregungen für Oralhistory im Rahmen von Facharbeiten in W-Seminaren oder Projektarbeit in P-Seminaren mit Leitfach Geschichte. Deshalb sollte jeder bayrische Geschichtslehrer das Werk kennen – es gehört in jede Schulbibliothek.
Theo Emmer
Projekt-Seminar
PROJEKT-SEMINAR ZUR STUDIEN- UND BERUFSORIENTIERUNG
Kühnl, Carmen E. / Riedner, Peter / Sacher, Nicole / Voit, Simone (Hrsg.): Projekt-Seminar zur Studien- und Berufsorientierung. 11/12, Donauwörth, Auer-Verlag, 1. Auflage 2009, 152 S., ISBN 978-3-403-06134-2, 17.90 €
Über vorliegende, als Schulbuch zugelassene Neuerscheinung dürften sich vor allem die eher „autodidaktischen“ P-Seminar-Leiter freuen (also jene, die nicht der Fachschaft Wirtschaft/Recht angehören). Es könnte aber in allen Seminaren nutzbringend eingesetzt werden, da es teilweise aktuelleres Material enthält als die BuS-Ordner und da ein Buch für die Schülerhand meist wertvoller erscheint als eine Vielzahl „fliegender“ Kopien.
Der Schwerpunkt des Buches liegt natürlich im Bereich Studien- und Berufsorientierung, der von Kompetenzen für das Seminar über Arbeitsmarktprognosen und Entscheidungshilfen bis hin zu Ausbildungsmöglichkeiten und Bewerbungsverfahren reicht (Teil 1). Zum Projekt selbst werden grundlegende Informationen etwa zu Definition, Planung, Durchführung und Abschluss geliefert (Teil 2) und durch eine Vorstellung möglicher Methoden ergänzt (Teil 3). Ein Adressen- und Literaturverzeichnis zum Recherchieren rundet das Werk ab.
Im Netz finden sich wertvolle Zusatzmaterialien zum kostenlosen Herunterladen. Bleibt zu hoffen, dass sich hier künftig auch Aktualisierungen des Zahlenmaterials finden werden – der Verlag zeigte sich hierfür auf Nachfrage des Rezensenten zugänglich.
Interessierte finden ein detailliertes Inhaltsverzeichnis des Buches sowie Links zu den Downloads unter www.auer-verlag.de à Suche à „P-Seminar“ eingeben à Projekt-Seminar zur Studien- und Berufsorientierung à mehr.
Theo Emmer
Wörterbuch Geschichtsdidaktik
Mayer, Ulrich / Pandel, Hans-Jürgen / Schneider, Gerhard / Schönemann, Bernd (Hrsg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 2009, 208 S., ISBN 978-3-89974257-2, 13.80 €
Mit vorliegender Publikation ist erstmals ein Übersichtswerk erschienen, das die Fachbegriffe der Wissenschaftsdisziplin Geschichtsdidaktik – prägnant erklärt – in einem Band zusammenfasst. Die zweite Auflage ist überarbeitet und um einige Stichwort erweitert, das relativ junge Forschungsfeld der „Geschichtskultur“ einbezogen. Renommierte Geschichtsdidaktiker haben die Fachterminologie unter Herausarbeitung ihres geschichtsdidaktischen Gehalts vorgestellt und somit allen mit der Vermittlung von Geschichte Befassten ein Nachschlagewerk von A – Z für einen sicheren Umgang mit den Fachbegriffen zur Verfügung gestellt. Eine Auflistung der Begriffe würde hier den Rahmen sprengen: Interessierte finden sie unter www.wochenschau-verlag.de à Publikationen à Autoren à M à Mayer à Titel: Wörterbuch Geschichtsdidaktik à Details.
Theo Emmer
Wir haben sie nie wieder gesehen
Grams, Damian / Thom, Micha: Wir haben sie nie wieder gesehen. Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus. Hg. vom Internationalen Bund, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2009, 96 S., ISBN 978-3-89974526-9, 19.80 €
„Erinnern kann man nicht delegieren, man kann es nur selbst tun. Es ist eine Holschuld und eine Bringschuld zugleich: Eine Holschuld, die wir unserer Elterngeneration abverlangen müssen, eine Bringschuld, da wir sie weitereichen sollten an unsere Kinder und Enkel“, konstatiert der Publizist Richard David Precht im Vorwort dieser Neuerscheinung. Doch wie können Jugendliche ihre Form der Erinnerung und Aufarbeitung von Geschichte der NS-Zeit finden?
Die Autoren – der Designer Damian Grams und Micha Thom, im Jugendmigrationsdienst des Internationalen Bundes Solingen tätig als Sozialberater, interkultureller Trainer und Deutschlehrer, - haben sich, angeregt durch eine mehrjährige Beschäftigung mit dem Thema in Solingen sowie durch wiederholten Jugendaustausch mit Krakau, zusammen mit Jugendlichen auf Spurensuche begeben: Sachinformationen eingeholt, Zeitzeugen befragt, Schauplätze von NS-Terror aufgesucht und das so erlebte Geschehen in Fotografien eingefangen.
So ist ein Bildband entstanden, der vor allem für junge Menschen einen neuen Zugang zur Erinnerung an die Opfer der Hitler-Diktatur eröffnet, indem Zeitzeugenberichte, Hintergrundinformationen, Zitate und Eindrücke (die kurzen Textkapitel streifen die wesentlichen Aspekte der Thematik) mit Fotos emotional verknüpft und die Rezipienten so auch auf ästhetischer Ebene angesprochen werden.
Das Buch eignet sich insbesondere für Geschichte und Kunst verbindende Unterrichtsprojekte, vorzüglich aber auch als Geschenk an Vertreter dieser Fächer oder Menschen mit einem „Draht“ dazu.
Theo Emmer
Geschichtskultur
Oswalt, Vadim / Pandel, Hans-Jürgen (Hrsg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2009 (= Forum Historisches Lernen), 237 S., ISBN 978-3-89974408-8, 22.80 €
In der Reihe Forum Historisches Lernen erscheinen grundlegende theoretische und praxisorientierte Beiträge zu Fragen historischen Lernens und historisch-politischer Bildung, die neue Mittel und Wege im Geschichtsunterricht begründen sollen. Der vorliegende Band vereint Beiträge, die sich damit beschäftigen, wie Geschichtskultur erkennbar wird, und das an konkreten Beispielen aufzeigen. Die 16 Autoren, darunter die Herausgeber, der Gießener Professor für Geschichtsdidaktik Vadim Oswalt und sein emeritierter Kollege Hans-Jürgen Pandel, gehen davon aus, dass Geschichtskultur fürs historische Lernen immer bedeutsamer wird und dass der Nachweis von Verfälschungen, Banalisierungen oder Geschichtsklitterungen nicht mehr ausreicht, weil mediale Aufbereitungen von Geschichte vielfach nachhaltiger wirken als die im Unterricht gelieferten Entmythologisierungen. Deshalb sei ein vertieftes Verständnis des Umgangs mit Geschichte in der Öffentlichkeit notwendig, wofür der Band Grundlagen schaffen will.
Inhaltlich ist das Buch in 7 Themenkreise gegliedert: Geschichtskultur und Erinnerungs-kulturen als Lernfeld, Film und Fernsehen als Leitmedien der Geschichtskultur (hier sei der Beitrag „Stichwortgeber. Die Rolle der ‚Zeitzeugen’ in G. Knopps Fernseh-dokumentationen“ besonders hervorgehoben), fiktionale Texte, legale Grenzen und Tabus im „öffentlichen Gebrauch der Historie“ (Komödien zum Thema Drittes Reich, Holocaustleugnung), Museum und Musealisierung zwischen Bildung und Kommerz, Medien und das kommunikative Gedächtnis, Anwesenheit „ferner“ Vergangenheit in der Gegenwart. Die Beiträge sind teilweise durch Abbildungen veranschaulicht und verweisen fast alle auf weiterführende Literatur und Medien.
Lehrerinnen und Lehrern liefert die Neuerscheinung einen Umriss des Forschungsfeldes Geschichtskultur auch in zentralen interdisziplinären Bezugspunkten.
Theo Emmer
Bildinterpretation praktisch
Land, Kristin / Pandel, Hans-Jürgen [Hrsg.]: Bildinterpretation praktisch. Bildgeschichten und verfilmte Bilder. Bildinterpetation II, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2009 (= Methoden Historischen Lernens), 205 S. plus CD-ROM, ISBN 978-3-89974405-7, 19.80 €
„Kompetenzen“ sind in der gegenwärtigen Bildungsdebatte in aller Munde. Doch wie kann Kompetenzorientierung ganz praktisch im Unterricht umgesetzt werden?
In ihrem neuen Band Bildinterpretation praktisch (Band „Bildinterpretation I“ von 2008 stellte ein 4-Ebenen-Modell der Bildinterpretation vor: Erscheinungs-, Bedeutungs-, Dokumenten- und Erzählsinn) bieten Kristin Land, die an der Universität Halle-Wittenberg u. a. Geschichte fürs Lehramt studiert, und Hans-Jürgen Pandel, der dort als Professor Geschichtsdidaktik gelehrt hat, zwei kompetenzorientierte Aufgabenformate für den direkten Einsatz im Unterricht an: das Konstruieren von Bildgeschichten und die Verfilmung von Bildern. Mit den vorgestellten Methoden der narrativen Erschließung von Bildgeschichten und der interpretierenden Verfilmung ermöglicht der Band, die entsprechenden Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler ganz praktisch im Geschichtsunterricht zu fördern.
Die Bildgeschichten und Bildverfilmungen des Buches finden sich auch auf der zugehörigen CD-ROM. Für nicht so versierte „User“: CD einlegen und öffnen (z. B. über Arbeitsplatz), bei Klicken z. B. auf Bilder erscheint der Dateiordner, beginnend mit einer dreistelligen Ziffer, die die entsprechende Buchseite angibt). Die Materialien können heruntergeladen, die Bilder direkt ausgedruckt und so als Unterrichtsmaterialien verwendet werden.
Das Buch gliedert sich in 4 Abschnitte: Einführung, Bildergeschichten (Einzelbilder - Chronologien – Geschichten, Trajanssäule, Teppich von Bayeux, Legende vom Hostienfrevel, Ketzerprozess gegen Hus und Konzil von Konstanz, Sklavenhandel, Heirat im 18 . Jh., Antialkoholbewegung 19 . Jh., Amerikaauswanderung 19. Jh., Bildsequenz zum Ausprobieren), Bilder verfilmen, verfilmte Bilder (Totengericht des Hunefer 13. Jh., Narrenschiff von Bosch, Kinderspiele von Brueghel d. Ä., Zähnezieher von Stehen 1651, Jüdische Kinder in Ghettos und Vernichtungslagern).
Theo Emmer
Vandalismus als Alltagsphänomen
Lorenz, Maren: Vandalismus als Alltagsphänomen. Hamburg (Hamburger Edition) 2009, 126 Textseiten, 158 S. mit Anmerkungen, ISBN 978-3-86854-204-2, 12,- €
Vandalismus in Form eingeworfenen Schaufenstern, aufgeschlitzten U-Bahn-Sitzen, zerstochenen Autoreifen oder herausgerissenen Telefonkabeln, die Autorin subsumiert hier auch Graffiti, ist nahezu alltäglich geworden. Definieren lässt sich Vandalismus als anonyme Beschädigung oder gar Zerstörung öffentlichen oder privaten Eigentums, als bewusste Normverletzung ohne erkennbares Motiv. Maren Lorenz, studierte Historikern, Politikwissenschaftlerin und Psychologin, derzeit Privatdozentin am Department Geschichtswissenschaften der Universität Hamburg, gibt in vorliegendem Bändchen einen Überblick über den Wandel von Deutungen und Erklärungen des „Alltagsphänomens“ Vandalismus sowie dessen Sanktionierung - mit Schwerpunkt auf der deutschen Geschichte seit dem 17. Jahrhundert.
Beschädigte Gegenstände berühren die meisten Menschen unangenehm, manche verspüren sogar eine zumindest latente Bedrohung. Immer wieder wird die Meinung artikuliert, die Zerstörungswut sei „typisch für die heutige Jugend“. Doch schon in der Einleitung des Büchleins wird klar, dass es Vandalismus auch durch Erwachsene schon in der Antike gab, z. B. in Form von Statuenverstümmelung. Im Kapitel „Nomen atque Omen“ wird die wechselvolle Bedeutungsgeschichte des heute allgemein verwendeten Vandalismus-Begriffs beleuchtet, jede Benennung impliziert Vorannahmen über die Motive der unbekannten Täter. Die folgenden Abschnitte beleuchten das „Alltagsphänomen“ in früher Neuzeit, Aufklärung, Industrialisierung, Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Zeit und Nachkriegsgeschichte beider deutscher Staaten bis zur Wiedervereinigung.
Wirtschaftliche Not, Bildungsarmut und Zerfall tradierter Familienstrukturen wurden schon seit langem als Ursachen von Vandalismus eher erwachsener Täter benannt. Später kamen Thesen wie Zerstörung der bürgerlichen Kleinfamilie, Verrohung und allgemeiner Werteverfall hinzu, Defizite bei Erziehung und Ausbildung besonders der Jugend des städtischen Proletariats wurden erkannt und wurde so Vandalismus als jugendliches Protest-verhalten angesehen.
In ihrer Schlusszusammenfassung macht Maren Lorenz nochmals klar, dass sie Vandalismus als spezifische Variante deutscher Gesellschaftsgeschichte untersucht hat. „Die Untersuchung solch anonym begangener Akte der Sachbeschädigung ist vor allem interessant, weil die Schuldzuschreibungen der öffentlichen Meinungsbildner Rückschlüsse auf die aktuellen Probleme der jeweiligen Gesellschaften zulassen … Der anonyme Vandalismus, verübt durch Individuen oder Gruppen, wurde nach Ansicht aller, die sich im Laufe verschiedener Jahrhunderte damit beschäftigten, durchaus als politisch wahrgenommen. ‚Politisch’ wird hier verstanden als Ausdruck mehr oder weniger reflektierender Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen“ (S. 119). „… vandalistische Taten [wurden] stets allein männlichen Jugendlichen oder Erwachsenen zugeschrieben …“ (S. 122). „Mädchencliquen … gerieten einfach nicht in Verdacht … Wurden Mädchen mit Jungen zusammen ertappt, galten die Mädchen automatisch als Mitläuferinnen“ (S. 123). „Politik und Wirtschaft haben es derzeit aufgegeben, nach komplexen Ursachenzusammenhängen zu suchen. Ökonomisch scheint es sich … eher auszuzahlen, erhebliche Summen in vandalismusresistente Baumaterialien, Schutzzäune und Wachdienste zu investieren …“ (S. 126).
Theo Emmer
Der Nationalsozialismus
Lange, Thomas / Steffens, Gerd [Hrsg.]: Der Nationalsozialismus. Band 1: Staatsterror und Volksgemeinschaft 1933 - 1939, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2009 (= Fundus Quellen für den Geschichtsunterricht), 238 S., ISBN 978-3-89974399-9, 19.80 €
Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist nach wie vor grundlegende Aufgabe historischer und politischer Bildung in Deutschland. Doch bleiben weder die Zeitumstände gleich, unter denen Heranwachsende mit der NS-Geschichte konfrontiert werden, noch die Wissensbestände, die die historische Forschung bereitstellt. Hier hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten ein Paradigmenwechsel vollzogen: vom Nationalsozialismus als Herrschafts- hin zum Nationalsozialismus als Gesellschafts-system. Fragen nach Ausmaß, Formen und Motivation von Einverständnis und Beteiligung der deutschen Bevölkerung wurden verstärkt in den Blick genommen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung bietet der neue Quellenband zahlreiche Schlüsselquellen zur Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte aus der Periode von 1933 -1939. Aufbau und Auswahl der Sammlung orientieren sich an der Doppelstruktur von Führerstaat und Volksgemeinschaft bzw. Terrorherrschaft und Einverständnis. So finden sich zentrale Quellen zur Funktionsweise des Nationalsozialismus als diktatorisches und terroristisches Herrschaftssystem. Das Hauptaugenmerk jedoch liegt auf jenen Quellen, die die gesellschaftliche Dimension des Nationalsozialismus als „Volksgemeinschaft" fassbar und die Wechselwirkungen von terroristischer Herrschaft und Zuarbeit, von NS-Zielen und kollektiven Mentalitäten, von Einschluss und Ausschluss deutlich machen.
Laut Verlagsmitteilung wurden die Quellen, darunter zahlreiche bisher unveröffentlichte (!!), gezielt für den Geschichtsunterricht zusammengestellt. Die Durchsicht durch den Verfasser dieser Zeilen bestätigt dies: Viele Quellen wurden in Archiven oder nicht problemlos zugänglichen Schriften (Dr. Thomas Lange, einer der beiden Herausgeber, war Gymnasiallehrer und Archivpädagoge) aufgestöbert und sind hervorragend für einen Einsatz im Unterricht in der Mittelstufe und der neuen Oberstufe geeignet, natürlich liefern sie auch einen Fundus für neue Prüfungsaufgaben. Für einen Geschichtsunterricht, der den Anschluss an die jüngere Nationalsozialismus-Forschung nicht verlieren soll, ist der Band eine unverzichtbare Quellensammlung.
Man darf darauf gespannt sein, ob der geplante Band 2, der sich schwerpunktmäßig mit der Zeit von 1939 – 1945 und der NS-Außenpolitik beschäftigen soll, ebensoviel neues Materialien bereitstellen wird.
Theo Emmer
Der Krieg hat uns geprägt
Buchtipp für den Geschichtslehrer
Dörr, Margarete: „Der Krieg hat uns geprägt.“ Wie Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebten. Frankfurt a. M. / New York, Campus-Verlag, 2007, 2 Bände im Schmuckschuber, 1085 S., ISBN 978-3-593-38447-4, 49.90 €
Margarete Dörr war Gymnasiallehrerin und Fachleiterin für Geschichte am Seminar für Studienreferendare in Stuttgart und Heilbronn. Zusätzlich hatte sie einen Lehrauftrag für Fachdidaktik an der Universität Stuttgart. Seit ihrer Pensionierung – so schreibt sie dem Verfasser dieser Zeilen – habe sie sich intensiv mit Zeitzeugenarbeit befasst, woraus zwei Dokumentationen hervorgegangen sind: 1998 die ebenfalls bei Campus erschienene dreibändige: „Wer die Zeit nicht miterlebt hat ...“ Frauenerfahrungen im Zweiten Weltkrieg und in den Jahren danach, sowie 2007 die vorliegende.
Die Kriegskinder, worunter M. Dörr die Generation der zwischen 1930 und 1945 Geborenen versteht – sie selbst ist 1928 geboren -, gingen durch die Schrecken des Krieges und die Belastungen der Nachkriegszeit mit Bomben, Flucht, Vertreibung, Hunger, dem Verlust von Angehörigen etc., halfen das Überleben zu organisieren und trugen zum Wiederaufbau bei.
Für ihre Dokumentation der Kriegserlebnisse von Kindern hat die Autorin mehr als 500 Lebensgeschichten in mündlicher und schriftlicher Form gesammelt, hinzu kommen Tagebücher, Briefe, Fotos und andere persönliche Dokumente. In 22 Kapiteln stellt sie die vielfältigen Aspekte des Lebens von Kindern im und nach dem Zweiten Weltkrieg mit deren eigenen Worten dar. Dabei interpretiert und kommentiert sie - unter Auswertung der umfangreichen Primär- und Sekundärliteratur (siehe 20-seitiges Literaturverzeichnis) - die Geschichten vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse. Die Schrecken des Krieges sind ebenso Thema wie die nationalsozialistische Erziehung, die Verbrechen des Regimes und der Übergang in eine neue Diktatur in der sowjetisch besetzten Zone. Erstmals kommen auch donauschwäbische und russlanddeutsche Kinder zu Wort. Zum Abschluss reflektieren die Zeitzeugen, wie der Krieg ihr Leben und ihr Weltbild geprägt hat. „Die Welt“ vom 2.2.2008 stellt fest: „Meisterhaft beherrscht sie [M. Dörr] die geschichtswissenschaftliche ‚Thick description’, die verdichtete Beschreibung, aber auch die Erinnerungsforschung: So wird das Subjektive zwar zum Ausgangspunkt ihrer Generationen-Chronik, doch legt sie die Einzelschicksale dar, um sie möglichst in Beziehung zueinander zu setzen und die höchst persönlichen Schilderungen mit der angemessenen Behutsamkeit zu interpretieren.“ Das Buch ist ein Beitrag zum Verständnis nicht nur der Generation der Kriegskinder selbst, deutlich wird auch, was deren Prägung für die kulturelle und politische Wirklichkeit unseres Landes bis heute bedeutet. In der „Zeit“ vom 6.12.2007 wurde das Buch folglich „ein beklemmendes Manifest wider Krieg und Totalitarismus, das jedes pazifistische Mahnmal ersetzt“, genannt.
Die sehr verdienstvolle Arbeit ist schon aufgrund der vielen verwendeten Quellen für jede weitere Beschäftigung mit dem Thema unerlässlich und eignet sich vorzüglich zum Einsatz im Geschichtsunterricht, zumal es immer schwerer wird, direkt auf Zeugen dieser Zeit zurückzugreifen. Der am Ende des Buches im Wortlaut abgedruckte Fragebrief an die Zeitzeugen liefert Anregungen für Oralhistory im Rahmen von Facharbeiten in W-Seminaren oder Projektarbeit in P-Seminaren mit Leitfach Geschichte. Deshalb sollte jeder bayrische Geschichtslehrer das Werk kennen – es gehört in jede Schulbibliothek.
Theo Emmer
Fenster zur Vergangenheit
Buntz, Herwig / Elisabeth Erdmann: Fenster zur Vergangenheit. Bilder im Geschichtsunterricht Bd. 2: Von der Frühen Neuzeit bis zur Zeitgeschichte, Bamberg, Buchners Verlag, 2009, 224 S., ISBN 978-3-7661-4607-6, 24.80 €
GiB 03/09
PastFinder-Reihen
PastFinder-Reihen (detaillierter Überblick unter www.pastfinder.de)
GiB 02/09
Ortstermine
Grillmeyer, Siegfried / Peter Wirtz (Hg.): Ortstermine. Politisches Lernen an historischen Orten. Bd. 1, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2006 (= Veröffentlichungen der CPH Jugendakademie Bd. 6), 200 S., ISBN 978-3-87920-088-7, 14.80 €;
GiB 01/09
Ortstermine
Grillmeyer, Siegfried / Peter Wirtz (Hg.): Ortstermine. Politisches Lernen am historischen Ort. Bd. 2, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2008 (= Veröffentlichungen der Akademie CPH Bd. 9), 304 S. ISBN 978-3-89974237-4, 16.80 €
GiB 01/09
Vorsicht Politik
Schiele, Siegfried / Gotthard Breit: Vorsicht Politik. Wochenschau-Verlag, 2008, 168 S. (= Politische Analysen) ISBN 978-3-89974252-7, 14.80 €
GiB 12/08
Praxishandbuch
Feldmann-Wojtachnia, Eva (Hrsg.): Praxishandbuch. Aktiv eintreten gegen Fremdenfeindlichkeit. Seminarbausteine zur bewussten Auseinandersetzung mit Identität und Toleranz, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2008, 108 S., ISBN 978-3-89974439-2, 14.80 €
GiB 12/08
Nation und Exklusion
Ahlheim, Klaus / Bardo Heger: Nation und Exklusion. Der Stolz der Deutschen und seine Nebenwirkungen, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2008, 128 S. (= Politische Analysen) ISBN 978-3-89974391-3, 12.80 €
GiB 12/08
Politische Bildung
Politische Bildung. Beiträge zur wissenschaftlichen Grundlegung und zur Unterrichtspraxis. Heft 3/2007: Rückblick 1967-2007. 40 Jahre politische Bildung. Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag. ISBN 978-3-89974-328-9. 174 Seiten. € 19,80
GiB 07/08
Pauken oder Lernen?
Kneile-Klenk, Karin: Pauken oder Lernen? Abwechslungsreich Wiederholen und Festigen [!] im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2008 (= Methoden Historischen Lernens). ISBN 978-3-89974472-2. 208 S. € 14,80
GiB 05/08
Migration und Weltgeschichte
Liebig, Sabine (Hrsg.): Migration und Weltgeschichte, Schwalbach/Ts., Wochenschau-Verlag, 2007 (= Studien zur Weltgeschichte), 127 S., ISBN 978-3-89974240-4, 9.80 €
GiB 06/08
Regensburger Kontaktstudien
Berichtsbände zu den bisherigen Regensburger Kontaktstudien
Beilner, Helmut (Hg.): Geschichtsdidaktische und fachliche Perspektiven in der Diskussion. Neuried (ars una) 2001 (= Regensburger Beiträge zur Geschichtslehrerfort-bildung Bd. 1) ISBN 3-89391-150-2
Beilner, Helmut (Hg.): Europäische Perspektiven im Geschichtsunterricht. Neuried (ars una) 2003 (= Regensburger Beiträge zur Geschichtslehrerfortbildung Bd. 2) ISBN 3-89391-152-9
Beilner, Helmut / Martina Langer-Plän (Hg.): Quellen in Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht. Neuried (ars una) 2004 (= Regensburger Beiträge zur Geschichts-lehrerfortbildung Bd. 3) ISBN 3-89391-153-7
Langer-Plän, Martina / Beilner, Helmut (Hg.): Außerschulische Lernorte im Geschicht-sunterricht. Neuried (ars una) 2005 (= Regensburger Beiträge zur Geschichtslehrerfort-bildung Bd. 4) ISBN 3-89391-156-1
(Die beiliegende CD-Rom beinhaltet Abbildungen zu den Beiträgen von Prof. Waldherr und M.A. Wolters.)
Berichtsbände zu den weiteren Kontaktstudien sind leider nicht finanzierbar.
Schüler schreiben Geschichte
Memminger, Josef: Schüler schreiben Geschichte. Kreatives Schreiben im Geschichtsunterricht zwischen Fiktionalität und Faktizität.
GiB 12/2007
Weiterer Buchtipp:
Berufliche Orientierung im P-Seminar
Ein wichtiges Anliegen des P-Seminars ist die Entwicklung von Berufswahlkompetenz durch die Vermittlung von wesentlichen Inhalten zur Studien- und Berufswahl.
Berufswahlkompetenz wird jedoch nicht nur durch die Aneignung von berufskundlichen Informationen erworben. Entscheidend ist vielmehr die Auseinandersetzung – im Sinne von Selbsterfahrung – mit Themen wie eigene Stärken und Schwächen, Interessen und Einstellungen. Die Beschäftigung mit den realen Anforderungen der Arbeitswelt ermöglicht den Jugendlichen, sich in einer für sie neuen Welt zu verorten.
Gerade für diese Themenbereiche bietet das P-Seminar die Möglichkeit, mit externen fachkundigen Partnern zusammenzuarbeiten.
Als solcher steht mit Edgar Pielmeier ein Diplompädagoge zur Verfügung mit langjähriger Erfahrung mit berufsbezogenen Themen wie Bewerbungstraining, beruflichen Anforderungen, Selbst- und Fremdeinschätzung, berufsbezogenen Tests usw. sowie als Trainer, der Seminarteilnehmern Selbsterfahrung ermöglicht, der andere Erfahrungen und Herangehensweisen mitbringt, als sie im schulischen Alltag üblich sind.
Als Partner der verantwortlichen Lehrkraft begleitet er in der Regel ein P-Seminar über einen längeren Zeitraum, macht Vorschläge für Benotungskriterien des berufsorientierenden Teils und übernimmt folgende Themen im Rahmen von Blockveranstaltungen:
Selbsterkundung:
- Fähigkeiten
- Interessen und Neigungen
- Einstellungen und Werte
- entsprechende Tests (z.B. AIST-R allgemeiner Interessen-Struktur-Test; BUS-A)
- berufliche Eignung (individuelle Voraussetzungen werden in Bezug gesetzt
- zu den beruflichen Anforderungen)
Bewerbungstraining:
- schriftliche und mündliche Bewerbung: Erstellen kompletter, formgerechter
- schriftlicher Unterlagen
- Vorbereitung auf das persönliche, das telefonische Vorstellungsgespräch und das As
- sessment-Center (u. a. praktische Übungen mit Videoaufzeichnung und Auswertung)
- Präsentation, die zur Person passt (z.B. Auftreten, Kleidung, Körpersprache)
Arbeiten im Projektteam:
- Definition eines Projekts
- Arbeitsformen (z.B. selbstgesteuerte Einzelarbeit, Teamarbeit)
- Kommunikationsformen und -notwendigkeiten bei der Teamarbeit
Erstellen eines Portfolios:
- Ordnungskriterien
- inhaltliche Kriterien
Die Themen werden mit den Schülern/innen erarbeitet, teilweise in Rollenspielen geübt, anhand von Filmbeispielen analysiert und verdeutlicht und auf Arbeitsblättern zusammengefasst.
Stundenumfang und -verteilung sowie Themen können individuell vereinbart werden mit Edgar Pielmeier; Tel. 0179-7425040; E-Mail: edgar.pielmeier@googlemail.com
Theo Emmer