Fragt man aktuell Kolleginnen und Kollegen an Gymnasien, ob der bevorstehende Lehrermangel ein Gesprächsthema im Lehrerzimmer oder in den Konferenzen sei, erntet man oft fragende Gesichter: Welcher Lehrermangel?
Richtig ist, dass im laufenden Schuljahr die Gymnasien insgesamt gesehen (bis auf die bekannten Mangelfächer Physik, Informatik und Kunst) gut versorgt sind. Dazu haben eine ganze Reihe von Maßnahmen beigetragen, mit denen ein Teil der von uns seit 2017 geforderten vorausschauenden Einstellungen für das zusätzliche Jahr im neuen G9 realisiert werden konnte. Es ist jedoch ein großer Irrtum anzunehmen, dass sich das kommende Schuljahr organisatorisch und belastungsmäßig genauso anfühlen wird wie das laufende: eine trügerische Ruhe vor dem Sturm. Auch wenn aktuell noch die Sonne scheint und man gerne auf der Terrasse unter dem Sonnenschirm verweilen möchte, jetzt ist die letzte Gelegenheit, über einen guten Platz für Schirm und Terrassenmöbel nachzudenken.
Wir brauchen nun drei Dinge: Ein Bewusstsein für die Größe des Problems, die Überzeugung, durch gemeinsames Handeln Teil der Lösung sein zu können, und schließlich die Bereitschaft und den Willen, dies zu kommunizieren und gemeinsam umzusetzen. Dazu ist es erforderlich, dass alle Akteure an einem Strang in dieselbe Richtung ziehen: die Politik, die Bildungsverwaltung (vom Ministerium über die Schulaufsicht bis hin zu den Schulleitungen), die Personalvertretungen (auf allen Ebenen) und schließlich die Lehrkräfte.
Ende Juli wurde die Lehrerbedarfsprognose 2024 veröffentlicht, in der für das kommende Schuljahr für alle Gymnasien in Bayern eine Deckungslücke von 1.320 Vollzeitlehrkräften genannt wird. Bricht man das auf die ca. 330 staatlichen Gymnasien herunter, so werden dort (ohne Gegenmaßnahmen) rund 1.100 Vollzeitkräfte fehlen, also 3,3 Vollzeitkräfte pro Schule, umgerechnet 80 Wochenstunden Unterricht (1).
Wie groß ist das Problem? Zum Vergleich: Ein durchschnittliches Gymnasium hat neun Wochenstunden Budgetzuschlag für das Förderkonzept "Individuelle Lernzeit" und erhält geschätzt dasselbe für die Individuelle Lernzeitverkürzung (das G8 im G9); zusammen also 18 Wochenstunden, was nicht einmal einem Viertel der Deckungslücke entspricht. Jeder Schulleitung ist damit klar, dass das Problem erheblich und nicht mit der Portokasse zu lösen ist. Es soll hier auch kein Missverständnis entstehen: Ob man gerade die beispielhaft genannten Errungenschaften am Gymnasium opfern möchte, muss die Politik entscheiden. Für uns ist ebenso klar: Der bpv wird sich allen Überlegungen, die integrierte Lehrerreserve aufzulösen, massiv entgegenstellen. Sie ist auch und gerade in Zeiten von Lehrermangel unverzichtbar, denn weiterhin wird es Schwangerschaften, Elternzeiten und Krankheitsausfälle geben.
Was könnte stattdessen ein Schlüssel zur Lösung sein? Der bpv hat vor zwei Jahren die "stille Reserve" in den Kollegien durch eine große Umfrage zu Teilzeit, Entlastung und Unterstützung zum Thema gemacht. Die Ergebnisse zeigen eine klare Bereitschaft zum Aufstocken von Teilzeit - wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Und dazu braucht es jetzt - im Sinne eines Gebens und Nehmens - klare Signale aus Politik und Bildungsverwaltung: unterstützende Maßnahmen der Entbürokratisierung, leistungsgerechte Beförderungen nach A14 und Anreize, bis hin zu einer Vier-Tage-Woche für Vollzeitkräfte - auf Wunsch, in einem organisatorisch verträglichen Umfang. Wie viele Stunden müsste dann jede Lehrkraft in Teilzeit zulegen, um die Lücke zu schließen? Das Ergebnis macht Mut: Es reichen im Schnitt (2) zwei Stunden mehr!
Natürlich wissen wir, dass es das Durchschnittsgymnasium nicht gibt und dass die Zusammensetzung der Kollegien (Alter, Geschlecht, Fachverbindungen) sowie die Situation der Schulen (Stadt/Land, Raumangebot, Migration) zu höchst unterschiedlichen Voraussetzungen führen. Doch angesichts der im politischen Raum diskutierten Einschränkungen der Teilzeit (auf Antrag, aber auch im familienpolitischen Bereich) sollten alle die Chance erkennen und aktiv - im Rahmen bestehender Freiheiten - die Herausforderungen des kommenden Schuljahrs gestalten. Die Alternative wäre, passiv Zwangsmaßnahmen über uns ergehen zu lassen, die einseitige Belastungen nach sich ziehen werden.
Wir sind nicht blauäugig - das aktive Gestalten kostet Zeit, Kraft und Mut. Es erfordert eine ehrliche und offene Kommunikation zwischen Schulleitungen und Kollegien sowie zwischen Schulaufsicht und Schulen. Denn Ministerium und Politik brauchen als Entscheidungsgrundlage eine klare Rückmeldung über die vorhandenen Potenziale. Die Zeit reicht aber noch für ein konzertiertes Vorgehen und eine Erhebung dieser Daten. Wie Schulen hier vorgehen können, um alle mitzunehmen, beschreibt Hauptpersonalrat Benedikt Karl beispielhaft in seinem Beitrag für den Bericht zum HPR. Letzten Endes geht es jetzt um die Frage: Sind wir fähig, der anstehenden Herausforderung solidarisch zu begegnen? Gelingt es, im Sinne von "do ut des" einen Ausgleich herzustellen? Oder setzen wir auf das Sankt-Florians-Prinzip und ansonsten ist uns das Hemd näher als die Hose?
Ich möchte für den solidarischen, konstruktiven Weg werben, auch wenn es mich ärgert, dass die Politik in den Jahren seit 2017 unseren Vorschlägen nicht ausreichend gefolgt ist und wir nun in diese Schwierigkeiten geraten. Das Bayerische Beamtengesetz bietet attraktive Teilzeit-Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Staat sollte ein Interesse an deren Fortbestand haben - und wir sollten uns diese Freiheiten nicht nehmen lassen.