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"Flexibilisierung löst nicht das Grundproblem"

Ministerpräsident Markus Söder will die Lehrerbildung in Bayern grundlegend reformieren: Das Studium soll flexibler werden, weniger Fachlichkeit und mehr Pädagogik enthalten. Und die Festlegung auf eine bestimmte Schulart soll erst später, nach einer gemeinsamen Grundausbildung, erfolgen. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, hält davon „gar nichts“. Zu abschreckend seien Beispiele aus anderen Bundesländer – etwa Baden-Württemberg, das vom einstigen Spitzenreiter bei Bildungsvergleichen ins untere Mittelfeld abgestürzt ist. Im Gespräch für die Ausgabe 1-2023 der bpv-Zeitschrift "Das Gymnasium in Bayern" (GiB) spricht er über die aktuellen Reformpläne, Lösungen für den Lehrermangel und Bayerns bildungspolitische Stärke.

GiB Herr Meidinger, was halten Sie von dem Vorschlag?

H.-P. Meidinger Wenn ich ehrlich bin: Davon halte ich gar nichts. Flexibilisierung ist letztendlich nur eine verschleiernde Formulierung für mehr Angleichung, Vereinheitlichung und Nivellierung. Da schwingt auch wieder das Vorurteil mit, Gymnasiallehrkräfte bräuchten weniger Fachlichkeit und mehr Pädagogik. Dabei hat erst vor wenigen Jahren wieder eine Studie mit Referendarinnen und Referendaren verschiedener Schularten gezeigt, dass Gymnasiallehrkräfte bei den pädagogischen Kompetenzen in der Praxis sehr gut abschneiden.

 

GiB Worin sehen Sie das Problem?

H.-P. Meidinger Letztendlich bedeutet eine solche gemeinsame Grundausbildung, nach der dann später nach Bedarf Studierende verteilt und gesteuert werden, dass junge Menschen am Anfang ihres Studiums gar nicht mehr wissen können, an welcher Schulart sie landen werden. Das wird viele, die beispielsweise im Beruf des Gymnasiallehrers eine Chance sahen, ihr Interesse und ihre Begeisterung für Fachdisziplinen mit ihrer Leidenschaft für das Unterrichten zu verbinden, vom Lehramt abschrecken. Das sieht man übrigens bereits drastisch in Ländern, die so eine Struktur schon haben, wie etwa in Mecklenburg-Vorpommern.

 

GiB Ist ein differenziertes Schulsystem wie in Bayern denn mit einer einheitlichen Lehrerausbildung möglich?

H.-P. Meidinger Bayerns Stärke war immer ein differenziertes Schulsystem mit klaren, sich deutlich unterscheidenden Profilen der einzelnen Schularten. Und die Basis dieser Schulartprofile, wozu auch eine starke Hauptoder Mittelschule gehört, ist eine klar schulartbezogene, differenzierte Lehrerbildung. Mehr Vereinheitlichung bei der Lehrerbildung wird unweigerlich zu einer Verwischung der Schulartprofile führen. Darunter würden alle Schularten leiden. Bayerns Gymnasiastinnen und Gymnasiasten sind Spitze bei Vergleichsstudien und dem späterem Studienerfolg, Bayerns Mittelschülerinnen und Mittelschüler zeichnen sich durch eine erfolgreiche Berufsorientierung und hohe Ausbildungsreife aus. Wozu es führen kann, wenn man den Weg der Vereinheitlichung und Nivellierung geht, zeigt das Beispiel Baden-Württemberg. Vom einstigen Spitzenreiter bei Bildungsstudien ist es bei der letzten IQB-Studie ins untere Mittelfeld abgestürzt.

 

GiB Die Politik versucht auf diesem Weg, Herr über den Lehrermangel zu werden.

H.-P. Meidinger In der Tat geht es Herrn Söder wohl nicht um Inhalte der Lehrerbildung, sondern um eine bessere Steuerbarkeit des Lehrerbedarfs. Aber selbst dafür ist dieses Flexibilisierungsmodell ungeeignet, weil es das Grundproblem nicht löst. Und das besteht darin, dass wir insgesamt zu wenig Lehrkräfte und Lehramtsstudierende haben, nicht nur an Grund- und Mittelschulen, auch an Gymnasien werden wir wegen der zurückkehrenden 13. Jahrgangsstufe demnächst ein massives Personalproblem haben. Leider ist derzeit auch kein Ende des Lehrermangels abzusehen. Anders als in früheren Zeiten steigen trotz bester Berufsaussichten die Studienanfängerzahlen im Lehramt kaum an, im Bereich der Mittelschulen fallen sie sogar. Das liegt auch daran, dass angesichts des angespannten Arbeitsmarktes die Beschäftigungschancen in fast allen Berufssparten hervorragend sind. Der Beamtenstatus mit dem Vorzug eines sicheren Arbeitsplatzes spielt in diesem Umfeld keine für eine Berufswahl ausschlaggebende Rolle mehr.

 

GiB Haben Sie bessere Vorschläge?

H.-P. Meidinger Langfristig hilft es nur, diesem an sich so tollen und einzigartigen Beruf wieder die gesellschaftliche Wertschätzung und die berufliche Attraktivität zu verschaffen, die er verdient. Derzeit werden unsere Kolleginnen und Kollegen oft zerrieben in einem zermürbenden Schulalltag im ständigen Krisenmodus, wo zu wenig Zeit und Energie für unser Kerngeschäft, das Unterrichten, bleibt. Wenn schon aktuell wegen des Lehrkräftemangels keine Deputatsabsenkung möglich ist, muss man zumindest für Entlastung von unterrichtsfremden Aufgaben sorgen. Wir brauchen einen professionellen IT-Support an allen Schulen, eine Schulverwaltung und ein Schulmanagement, das von der personellen Ausstattung her auch diesen Namen verdient, und wir brauchen die Unterstützung durch multiprofessionelle Teams wie Schulpsychologen, Sozialpädagogen und Alltagshelfer. Außerdem muss die Politik endlich damit aufhören, die Schule zum gesellschaftlichen Reparaturbetrieb zu degradieren, in den alle Probleme delegiert werden, an denen sie selbst scheitert.

 

GiB Und was hilft kurzfristig?

H.-P. Meidinger Kurzfristig helfen nur Notmaßnahmen wie etwa die Anwerbung und qualitativ hochwertige Nachqualifizierung von Quer- und Seiteneinsteigern, die Gewinnung von pensionierten Lehrkräften und Lehramtsstudierenden. Besonders erfolgreich war Bayern im bundesweiten Vergleich übrigens bei der Rekrutierung ukrainischer Lehrkräfte zur Beschulung von Flüchtlingskindern.

 

GiB Blicken wir in andere Bundesländer: Wo läuft die Lehrerbildung aus Ihrer Sicht nicht gut?

H.-P. Meidinger Natürlich gibt es Bundesländer, die auf dem Weg der Abschaffung und Nivellierung einer schulartspezifischen Lehrerbildung im negativen Sinn schon weit vorangeschritten sind. Beispielsweise war ich selbst vor einigen Jahren als Experte in der Hamburger Bürgerschaft geladen, als dort die Lehrerbildung für Gymnasien und Stadtteilschulen vereinheitlicht und das Grundschullehramt im Zuge der jetzt auch in Bayern angedachten Ausweitung der Regelstudienzeit mit zusätzlichen Fachinhalten überfrachtet wurde. Der Effekt war übrigens, dass sich nach Inkrafttreten dieser neuen Lehrerbildung die Zahl der Studierenden im Grundschullehramt, die bei den neuen Mathematikprüfungen scheiterten, mehr als verdoppelt hat.

 

GiB Und was sagen Sie mit Blick auf Bayern?

H.-P. Meidinger Bayern war immer gut beraten, die schulpolitischen Sündenfälle anderer Bundesländer nicht nachzuahmen. Als es einmal beim G8 trotzdem passiert ist, hat sich das bitter gerächt.

 

GiB Heißt das, Bayern sollte seine Lehrerbildung nicht reformieren?

H.-P. Meidinger Selbstverständlich muss man immer prüfen, welche Reformen und Verbesserungen bei der Lehrerbildung nötig und möglich sind. Hinsichtlich der besseren Verknüpfung von erster und zweiter Lehrerbildungsphase gibt es sicher noch Optimierungsbedarf. Für die inhaltliche Notwendigkeit einer Vereinheitlichung und Flexibilisierung in Bayern sehe ich allerdings keinerlei Anlass.

 

GiB Vielen Dank für das Gespräch!

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