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Lehrerbildung: Drehen am „großen Rad“?

In den Medien hat es kaum Widerhall gefunden, doch nach „A13 für alle Lehrkräfte“ überraschte der bayerische Ministerpräsident im Oktober 2022 mit einer weiteren Ankündigung: Er denkt an eine große Revision der Lehrerbildung. Das Ziel: Weniger Fachlichkeit, mehr Pädagogik, ein flexibleres Lehramtsstudium durch eine gemeinsame Grundausbildung mit später Festlegung auf eine Schulart, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Der Stufenlehrer (Sek I/Sek II) oder sogar Einheitslehrer als Lösung?

Richtig ist zweifelsohne, dass der Erfolg eines Bildungssystems neben anderen Einflussfaktoren stark von der Qualifikation der Lehrkräfte und damit auch von der Qualität der Lehrerbildung abhängt. Dies unterstreichen zwei – ebenfalls wenig beachtete – Pressemitteilungen des ifo-Instituts im Juni und Juli dieses Jahres, die auf aktuelle Studien verweisen.

In der Studie1 vom Juni untersuchten die Forscherinnen Leistungsunterschiede in MINTFächern in internationalen Daten des Jahres 2015. Ihr Fazit: Mehr Unterrichtszeit und gute Lehrkräfte verhelfen Schülerinnen und Schülern zu besseren Leistungen. Zudem sei der Effekt der Unterrichtszeit auf die Schülerleistungen im Länderdurchschnitt bei besser qualifizierten Lehrkräften größer. Dabei wurde als Maß für die Qualität der Lehrkräfte deren formale Qualifikation verwendet wie z.B. eine Fachspezialisierung mit pädagogischem Hintergrund oder der höchste Bildungsabschluss im Hauptfach.

Und die im Juli veröffentlichte Studie2 berichtete über Faktoren, die den Bildungserfolg von benachteiligten Schülerinnen und Schülern besonders stark beeinflussen. Hierbei wurde untersucht, welche Auswirkungen verschiedene Merkmale des Schulumfelds auf den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Startchancen haben. Zu den einbezogenen Merkmalen gehörten zum Beispiel die durchschnittliche Klassengröße, der Anteil an Lehrkräften mit Masterabschluss oder der Anteil an Lehrkräften mit mehr als fünf Jahren Unterrichtserfahrung. In die Auswertung flossen umfassende Umfrage- und Verwaltungsdaten aus den USA zu mehr als 3.000 Teilnehmenden ein. Dabei kamen mikrobiologische Verfahren zum Einsatz, mit denen es möglich war, ererbte Voraussetzungen als Maß für schlechte Startchancen in der Analyse zu nutzen. Das Fazit der Wissenschaftler war: Kompetente Lehrkräfte fördern den Bildungserfolg besonders stark.

Richtig bleiben auch die früheren Ergebnisse der COACTIV- und COACTIV-R-Studien unter der Leitung von Jürgen Baumert (siehe auch nächste Doppelseite): Profundes Fachwissen ist die Grundlage für fachdidaktisches Wissen und fachdidaktisches Wissen ist seinerseits von größter Bedeutung für die kognitive Aktivierung, die wiederum maßgeblich für den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler ist. Nicht vergessen sollte man dabei auch, dass Referendare mit einem vertieften Studium im gymnasialen Lehramt sowohl beim Fachwissen als auch bei der Fachdidaktik in der Studie am besten abgeschnitten haben.

Im Übrigen betrifft der aktuelle Lehrermangel alle Bundesländer gleichermaßen, unabhängig von ihrem System der Lehrerbildung. Und es ist mehr als fragwürdig, ob eine Flexibilisierung der Lehrerbildung durch inhaltliche Verflachung, Verschlankung oder Vereinheitlichung zu einer größeren Attraktivität des Lehramtsstudiums und zu mehr Lehrkräften führt. Die Erfahrungen anderer (Bundes-)Länder zeigen vielmehr, dass Abbrecherquoten zunehmen und die fachliche Kompetenz der Absolventinnen und Absolventen abnimmt. Man muss dazu gar nicht ins Nachbarland Österreich schauen, das ab dem Studienjahr 2015/16 die Lehrerbildung massiv verändert bzw. vereinheitlicht hat und mit großen Problemen kämpft – mit Bachelor-Abschluss in den Unterricht, Wegfall des Unterrichtspraktikums/Referendariats am Ende des Studiums, berufsbegleitender Master-Abschluss als Pflicht, sonst droht Kündigung (!) usw. Es reichen Erfahrungsberichte von Lehrkräften z.B. aus Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern oder Berlin, wo die ersten Schritte zur Vereinheitlichung der Lehrämter seit geraumer Zeit gegangen sind.

Wir sind der Meinung: Eine Vereinheitlichung des Studiums mit späterem Beginn und Kürzung der fachwissenschaftlichen Inhalte heißt für das Gymnasium ein Verlust an Durchdringung von Inhalten, ein Verlust an Anspruch und Qualität, ein Verlust an Anschlussfähigkeit an die Hochschulen. Dieser Schritt zur Stufen- oder Einheitslehrkraft bedeutet das Ende der Wissenschaftspropädeutik am Gymnasium, nimmt den Lehrkräften die fachwissenschaftliche Grundlage und Autorität und untergräbt das bisherige Gymnasium mit seiner hohen fachlichen Ausprägung. Grund für uns, mehr als alarmiert zu sein, diesem Thema oberste Priorität einzuräumen und uns auf allen Ebenen für den Erhalt der Fachlichkeit am Gymnasium einzusetzen. Wir sperren uns nicht gegen Reformen, aber sie müssen einen echten Fortschritt bedeuten und nicht die vorhandenen „Assets“ aufs Spiel setzen. Bayern hat im Bildungsbereich viel zu verlieren. Auch wenn sich Kultusminister Michael Piazolo erfreulicherweise klar gegen einen bayerischen Einheitslehrer und große Veränderungen an der Lehrerbildung ausgesprochen hat: Die Rufe von Anderen nach „dem großen Wurf“, die Ankündigung, am „großen Rad“ zu drehen, weil so vermeintlich ein Lehrermangel beseitigt werde, sind keine Lösung, sondern eine Gefährdung für unsere Schulart, unser Bildungssystem und damit den Erfolg unserer Schülerinnen und Schüler. Grund also für höchste Wachsamkeit und stetes Mahnen, denn „auf den Lehrer kommt es an“.

1Freundl, Vera & Katharina Wedel: „How does Instruction Time Affect Student Achievement? The Moderating Role of Teacher Qualifications“, in: CESifo Forum 23 (3), S. 33-39: München, ifo Institute, 2022. 2Arold, Benjamin W., Paul Hufe & Marc Stoeckli: Genetic Endowments, Educational Outcomes and the Mediating Influence of School Investments, München: CESifo, 2022.

 

bpv-Empfehlungen zur gymnasialen Lehrerbildung

Qualitativ hochwertig, national wie international leistungsfähig, zukunftsorientiert - so soll gymnasiale Bildung sein und so muss auch gymnasiale Lehrerbildung sein. Der Erhalt und die Weiterentwicklung einer qualitätsvollen gymnasialen Lehrerbildung ist dem Bayerischen Philologenverband ein wichtiges Anliegen, denn die Qualifizierung der Philologinnen und Philologen hat unmittelbare Auswirkungen auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Der Bayerische Philologenverband hat deshalb Empfehlungen zur gymnasialen Lehrerbildung vorgelegt, mit denen bewährte Strukturen, etwa im Referendariat, gestärkt und notwendige Veränderungen wie die Einführung einer klar strukturierten dritten Phase der Lehrerbildung mutig angegangen werden können:

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